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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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bis sie neben ihn getreten war. »Hörst du die Stimmen im Wind?«
    Sie lauschte angestrengt. »Ich weiß nicht.«
    »Die Berge, die Bäume, die Blumen, selbst die Steine können sprechen. Man muss nur zuhören. Hier hörst du sie, hier merkst du, dass alle Dinge lebendig sind. Alles hat eine Seele. Eure Missionare bestreiten das, aber ich glaube fest daran. Wer hier lebt, kann nichts anderes glauben.«
    Er deutete zu den Bäumen hinüber. »Siehst du den Raben?«
    »Ich höre ihn.«
    »Ein gerissener Bursche.« Er grinste verstohlen. »Wenn ich mit den Geistern spreche, ist er stets an meiner Seite. Er ist die Stimme des Schöpfers, zu dem wir aufsehen. Wenn ihm nach bösen Streichen zumute ist, taucht er in allen möglichen Verkleidungen auf und ärgert uns. Achte auf den Raben!«
    Hannah musste lächeln. »Ist er so gefährlich?«
    »Er ist weise.«
    »Der Rabe?«
    »Ich muss gehen, weiße Frau«, erwiderte er. »Du kochst guten Kaffee.« Er ging ohne ein weiteres Wort bedächtig davon und verschwand zwischen den Bäumen.
    Hannah blickte ihm versonnen nach. Sie war sich noch immer nicht im Klaren darüber, ob er gekommen war, um sich mit ihr zu versöhnen, oder ob er ihr vom Schicksal seines Volkes berichtet hatte, weil er sie auf diese Weise auffordern wollte, das Land zu verlassen. Schon gar nicht verstand sie, warum er glaubte, dass ausgerechnet eine Frau wie sie böse Geister in seine Jagdgründe holen würde. Sie wollte den Indianern eine gute Nachbarin sein und würde sofort das Gesetz einschalten, falls sich zwielichtige Elemente bei ihr einfanden und sich gegen die Indianer wandten. Sie war nicht nach Alaska gekommen, um hier Krieg zu führen.
    »Captain«, rief sie, als der Husky von seinem neuen Platz neben dem Schaukelstuhl aufstand und sie fragend anblickte. »Was ist? Hat dich der Häuptling mit seinen Reden erschreckt?« Sie ging zu ihm und kraulte ihm den Nacken. »Du hast Fett angesetzt, weißt du das? Ein paar Mäuse zu jagen, reicht nicht. Du solltest mal wieder durch die Gegend tollen. Wie wär’s, wenn du mich zu den Ruinen der Goldgräber begleiten würdest? Höchste Zeit, dass dort mal jemand aufräumt. Warte hier, ich hole nur schnell mein Gewehr!«
    Sie lief ins Haus und nahm das Gewehr. Noch bezweifelte sie, damit irgendetwas treffen zu können, aber die Waffe gab ihr Sicherheit und würde künftig bei allen Ausflügen über ihrem Rücken hängen, das hatte sie vorhin auf dem Fluss beschlossen, bei aller Begeisterung für die Schönheiten der Natur hatte sie doch hinter jedem Gebüsch einen Bären vermutet und war mehr als einmal zusammengezuckt. Wie man den Hahn spannte und den Abzug durchzog, wusste sie, und sobald sie damit ein wenig geübt hatte, würde sie auch etwas treffen.
    Mit dem Gewehr über dem Rücken und dem Spaten, den sie für ihre Gemüsebeete benutzt hatte, in der rechten Hand zog sie los. »Worauf wartest du, Captain?«, rief sie dem Husky zu. »Muss ich dir erst eine Einladung schicken?«
    Der Hund sprang auf und folgte ihr. Während sie dem Pfad über die Hügel und am Waldrand entlang folgten, entdeckte er seinen Jagdinstinkt wieder und tollte ausgelassen über die bunten Blumenwiesen. Er rannte einem kleinen Tier hinterher, wahrscheinlich wieder einer Maus, jagte seinen Schatten, als sich seine Beute in Sicherheit gebracht hatte, und hetzte den Steinen hinterher, die Hannah über die Wiese schleuderte. »Na, siehst du«, rief Hannah ihm zu, »und ich dachte schon, du hättest das Laufen verlernt.«
    Nach einer halben Stunde erreichten sie die Trümmer der Goldgräbersiedlung. Sie lehnte ihr Gewehr und die Schaufel gegen einen Baum und wuchtete die verrosteten Ofenteile, Konservendosen, Werkzeuge und Goldwaschpfannen, die Überreste des Wagenrads und die verstreuten Tierknochen in das Erdloch, das ein entwurzelter Baum in der Nähe gerissen hatte. Die Ofenteile waren besonders schwer und brachten sie ins Schwitzen. Mit einigen Fichtenzweigen und frischer Erde deckte sie die Trümmer zu. Sie klopfte die Erde mit der Rückseite der Schaufel fest und stützte sich erschöpft auf den Stiel.
    So sah die Lichtung schon wesentlich sauberer aus. Hannah schaute eine Weile dem Husky zu, der ein neues Opfer gefunden hatte, das sie nur schemenhaft erkennen konnte, und wie ein Wilder über die Wiese hetzte. »Endlich zeigst du mal, was in dir steckt!«, rief sie ihm zu. Sie beobachtete, wie er auf die Berge zulief, ließ ihren Blick an der riesigen Felswand emporwandern und hatte

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