Im Land des weiten Himmels
Sie würde nicht ruhen, bis sie Chief Alex und seinen Stamm von ihren guten Absichten überzeugt hatte. Die Zeiten hatten sich geändert. Seit zwei Jahren waren die Indianer vollwertige Bürger des Territoriums von Alaska, so hatte es im Fairbanks News-Miner gestanden, und es war eine Frage der Ehre, gut mit ihnen auszukommen, auch wenn etliche Menschen das immer noch anders sahen.
Hannah seufzte und ging zu ihrem Boot. Sie war bereits dabei, es ins Wasser zu schieben, als eine laute Stimme aus dem Wald rief: »Vertraut ihr! Sie lockt keine bösen Geister an! Sie ist eine gute Frau! Nehmt die Geschenke, und ladet sie zum Essen ein, wie es Sitte bei unserem Volk ist!«
Sie erstarrte mitten in der Bewegung, erhob sich verwundert und kehrte langsam auf den freien Platz vor den Blockhäusern zurück. Dort blieb sie stehen, genauso ratlos und verunsichert wie zuvor. Wem gehörte die Stimme?
Wieder ein Augenblick der Stille, dann öffnete sich die Tür des Blockhauses, und Chief Alex kehrte auf die Lichtung zurück. Er blickte zum Waldrand. »Wer bist du?«, rief er auf Englisch, der Sprache, die der Unbekannte benutzt hatte. »Wer bist du, dass du glaubst, uns Befehle erteilen zu können?«
»Adam Parker«, erwiderte die Stimme und fügte etwas in der Sprache der Indianer hinzu. Auf Englisch sagte Adam: »Ich kenne diese Frau! Sie ist unsere Freundin! Behandelt sie wie jemand, der unsere Gastfreundschaft verdient!«
»Warum zeigst du dich nicht?«
Adam trat an den jaulenden Huskys vorbei auf die Lichtung und blieb vor dem Häuptling stehen. Mit einem vorsichtigen Seitenblick streifte er Hannah, als hätte er Angst, sie könnte seinen Vorstoß nicht gutheißen. Seine Gestalt straffte sich, als er dem Häuptling stolz und furchtlos in die Augen blickte.
»Du bist noch jung«, sagte der Häuptling ärgerlich. »Wie kommt ein Junge dazu, einem weisen Mann wie mir Befehle zu erteilen?«
Adam deutete eine Verbeugung an. »Verzeih mir, Großvater.« Chief Alex war nicht Adams wirklicher Großvater, vermutete Hannah, die Anrede sollte seinen Respekt unterstreichen. »Ich wollte dich nicht kränken. Aber diese Frau hat mich gerettet, als ich in Bedrängnis war, und mir zu essen gegeben, als ich vor Hunger fast umkam.«
»Das hat sie getan?«
Sie blickten beide zu ihr herüber, der Häuptling und zum ersten Mal auch der junge Mann. In seinen dunklen Augen stand Bewunderung. Sie musste ihn tief beeindruckt haben, auch wenn sie nur Mitleid mit ihm gehabt hatte.
»Du sprichst wie ein Weißer«, sagte der Häuptling.
»Ich bin ein Tanana.« Wieder folgten einige Worte auf Indianisch.
Der Häuptling dachte über die Worte des jungen Mannes nach. Sie schienen ihn zu verwirren. »Es hat sich viel verändert, während du bei deinen weißen Eltern warst, Adam. Du musst das doch am besten wissen, du hast es mit eigenen Augen gesehen. Die Weißen bestimmen, wie wir zu leben haben. Wir sind vollwertige Bürger, sagt das Gesetz, aber es geht uns schlechter, sehr viel schlechter als früher. Die Weißen haben uns Krankheiten gebracht. Ihre Siedlungen werden immer größer. Warum bleibst du nicht bei ihnen? Wir sind ein aussterbendes Volk, bei den Weißen könntest du überleben.«
»Vielleicht, Großvater, aber auch ich folge einem Traum. Ich suche meinen Schutzgeist, und den kann ich nur in diesen Wäldern finden. Er wird mir sagen, welchen Weg ich einschlagen muss.« Er blickte auf Hannah und wieder auf den Häuptling. »Willst du sie nicht in dein Haus bitten, Großvater?«
Hannah erkannte, dass Chief Alex noch ein wenig Zeit brauchte. »Heute ist nicht unser Tag«, sagte sie. »Ich danke dir, Adam. Ich danke dir, Großvater.« Sie lächelte, als sie ins Boot stieg und langsam auf den Fluss ruderte.
20
Bei ihrer Rückkehr war Hannah völlig erschöpft von der ungewohnten Anstrengung. Zwar lag die Siedlung buchstäblich nur einen Katzensprung entfernt, aber das Rudern und die Angst allein in der wilden Landschaft hatten an ihr gezehrt. Der Anblick des verschönerten Gastraumes hob ihre Laune, wenn auch nur für kurze Zeit. Wie unangenehmer Schmerz, der sich immer dann meldete, wenn man ihn am wenigsten erwartete, kehrte die Erinnerung an ihre schwierige Lage zurück. Nur wenn ihr die Bank entgegenkam, würde sie ihr ehrgeiziges Vorhaben, das Roadhouse nach ihren Wünschen einzurichten, in die Tat umsetzen können. Neue Betten und neue Matratzen kosteten Geld, und auch die Männer, die sie für die anstrengenden Arbeiten würde
Weitere Kostenlose Bücher