Im Land des weiten Himmels
Ablehnung. Wer an Geister und übernatürliche Phänomene glaubte, musste sie für die Unruhe verantwortlich machen und damit rechnen, dass etwas Bedrohliches in der Luft lag. Wenn sie ehrlich war, glaubte sie schon beinahe selbst daran. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Biologen. War Pearlman tatsächlich ein Lügner?
Als sie am nächsten Morgen in den Gastraum hinabstieg, saß der Biologe bereits an einem der runden Tische und brütete über einer Landkarte. Er blickte auf. »Guten Morgen, Ma’am. Ich wollte gerade Feuer machen, aber …«
»Schon gut.« Sie glaubte ihm kein Wort. »Ich mache das schon.«
Eine Viertelstunde später servierte sie ihm ein reichhaltiges Frühstück: Rühreier mit Schinken und Pfannkuchen mit Sirup. Es gab keine bessere Werbung als zufriedene Gäste, die sich anderswo lobend über eine Herberge oder ein Restaurant ausließen, das hatte ihr schon Henry in New York beigebracht. Den Kaffee kochte sie extra stark, wie ihn die meisten Männer liebten. »Ausgezeichnet«, lobte Pearlman dann auch zufrieden lächelnd.
Hannah schenkte ihm nach und deutete auf die Landkarte, die er auch während des Essens studierte. »Fairbanks und die White Mountains?«
»Etwas genauer.« Er faltete die Karte zusammen und lächelte verlegen, als fühlte er sich bei etwas ertappt. »Ich will mir heute ein wenig die Gegend ansehen. Könnten Sie mir vielleicht ein Sandwich mitgeben? Kann sein, dass ich etwas länger brauche und erst am späten Nachmittag zurück bin. «
»Sicher«, antwortete sie, »aber ich würde mich an Ihrer Stelle nicht zu weit vom Haus entfernen. Wir sind hier mitten in den Wildnis, und manchmal lassen sich Bären in der Gegend blicken.« Sie kam sich schon wie eine erfahrene Wildnisbewohnerin vor, die ein Greenhorn vor den Gefahren warnte. Sie unterdrückte ein Lächeln. »Normalerweise werden Bären den Menschen nicht gefährlich«, wiederholte sie, was sie von dem Postreiter gelernt hatte, »aber wenn man zwischen eine Mutter und ihre Jungen kommt, ist höchste Vorsicht geboten. Können Sie mit einem Gewehr umgehen, Mr Pearlman?«
Er wischte sich den Mund ab und spülte mit Kaffee nach. »Ich brauche kein Gewehr. Wilden Tieren gehe ich aus dem Weg, so habe ich es schon in den Sierras gehalten. Ich singe während des Wanderns, das hält sie fern. Den Trick hat mir mal ein Ranger verraten.« Er stand auf und griff nach seinem Mantel. »Ich will mir nur ein paar Pflanzen ansehen und ein paar Notizen für den Bericht machen. Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier, wissen Sie?«
»Was für ein Bericht?« Sie verbarg ihre Neugier nicht.
Er glaubte wohl, zu viel verraten zu haben, und ruderte lächelnd zurück. »Eine wissenschaftliche Auswertung der Flora und Fauna dieser Gegend, einer dieser langweiligen Berichte, die dann irgendwo in den Archiven verstauben. Nichts, womit ich Lorbeeren gewinnen könnte, Ma’am.«
Sie gab sich damit zufrieden, belegte zwei Sandwiches und packte sie in eine Tüte. Horatio W. Pearlman hatte inzwischen seinen Mantel angezogen und den Derby-Hut aufgesetzt. In seiner seltsamen Kleidung sah er wie ein ungepflegter Städter aus, der sich in die Wildnis verirrt hatte. »Am besten bleiben Sie in der Nähe, Mr Pearlman. Hier im Tal gibt es jede Menge Pflanzen.«
»Ich habe ja die Karte.« Er lächelte herablassend. »Bis heute Nachmittag.«
Hannah blieb in der offenen Tür stehen und blickte ihm nach. Sie wusste nicht so recht, was sie von Pearlman halten sollte. War er wirklich der unbedarfte Biologe, als der er sich ausgab? War er für eine Universität oder Regierungsstelle unterwegs, um eine dieser überflüssigen Statistiken zu erstellen? So geheimnisvoll, wie er tat, gab es bestimmt noch einen anderen Grund. Vielleicht schrieb er ein Buch über die Tier- und Pflanzenwelt in den White Mountains und wollte nicht, dass die Konkurrenz von seiner Idee erfuhr. Oder hatte sein Auftrag damit zu tun, dass die Regierung oder ein großer Konzern vorhatte, den Fortschritt auch in diese abgelegene Gegend zu bringen?
Das Gerede des Mannes hatte sie nervös gemacht. Wie konnte ein Biologe, der sich an Pflanzen und Tieren erfreute, ernsthaft behaupten, der Mensch habe den Auftrag, sich die Natur untertan zu machen? Musste ihm nicht daran gelegen sein, einen möglichst großen Teil dieser Natur zu erhalten? Tat sie ihm etwa unrecht, und es ging ihm genau darum? Wollte die Regierung ihr Tal unter Naturschutz stellen?
Das leise Jaulen ihres Husky erinnerte sie
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