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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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zurück. Der Biologe war ihr unsympathisch. Sie glaubte nicht, dass er ein Lügner war, wie Chief Alex behauptete, aber er hatte irgendetwas an sich, das ihr nicht gefiel, und sie war froh, sich nicht auf ihn einlassen zu müssen. Mit jedem anderen hätte sie sich gern unterhalten. Wenn man im Busch wohnte, wie die Trapper in Alaska sagten, hatte man nun einmal das Bedürfnis, sich mit anderen zu unterhalten, und wenn es nur so belanglose Themen wie das Wetter waren, schließlich konnte man nicht wissen, wann es wieder Gelegenheit zu einem Gespräch geben würde.
    An diesem Abend ging Hannah früh zu Bett. Sie war noch nicht dazu gekommen, Vorhänge für ihr eigenes Schlafzimmer zu nähen, und blickte lange zur hellen Decke empor. Ungeduldig wartete sie darauf, dass sich der Himmel verdunkelte. Als die ersten Schatten in ihr Zimmer krochen, hörte sie, wie Pearlman die Treppe heraufkam, der Boden im Flur unter seinen Schritten knarrte, und die Tür des Gästezimmers geöffnet und wieder geschlossen wurde. Nur wenige Minuten später drang leises Schnarchen durch den Flur.
    Ein seltsamer Mann, dieser Horatio W. Pearlman. Ein Geheimnis umgab ihn. Schlimmer noch, von ihm ging eine unbestimmte Bedrohung aus, die Hannah ständig an die Worte des alten Häuptlings denken ließ. War Pearlman ein Lügner? Suchte er etwas ganz anderes in ihrem Tal? War die Angst, sie könnte mit ihrem Roadhouse die bösen Geister anlocken, doch berechtigt?
    Wenn sie dem Häuptling wieder guten Gewissens unter die Augen treten wollte, musste sie dieses Geheimnis lüften. Sie war auf die gute Nachbarschaft mit den Indianern angewiesen und wollte nicht, dass irgendetwas zwischen ihnen stand. Nicht den geringsten Verdacht wollte sie aufkommen lassen. Ein Roadhouse war keine verruchte Kneipe in einem Goldgräbercamp, in der sich zweifelhafte Abenteurer trafen und damit prahlten, wie viele Frauen der Wilden sie in ihre Hütten oder Zelte gelockt hatten. Bei ihr sollten vor allem Fallensteller und Jäger übernachten, abenteuerlustige Burschen, die öfter mal über die Stränge schlugen, aber Respekt hatten vor allen Frauen, so wie die Cowboys in Hannahs Storys, die aufstanden und ihre Hüte abnahmen, wenn eine Frau den Raum betrat, und sie mit »Ma’am« oder »Miss« anredeten.
    Am nächsten Morgen war sie früh auf und hatte schon das Frühstück zubereitet, als Pearlman die Treppe herunterkam. Sie begrüßte ihn freundlich und erkundigte sich nach seinem Befinden, wie es sich für eine gute Gastgeberin gehörte, sprach aber wenig mit ihm und fütterte den Husky, während er aß. Er war kein typischer Husky, nicht so muskulös und drahtig wie die Hunde, die sie bei den Indianern gesehen hatte, und nicht so ausdauernd, auch wenn er einen großen Teil des Tages damit verbrachte, Mäuse oder andere kleine Tiere zu jagen. Ihr Onkel Leopold hatte ihn wahrscheinlich verwöhnt, für ihn war er der einzige Freund gewesen. Würde sie sich auch mit einem vierbeinigen Freund zufriedengeben müssen? Der Gedanke ließ sie trübsinnig zum Himmel blicken.
    »Würden Sie mir wieder ein Sandwich mitgeben?«, ertönte die Stimme des Biologen hinter ihr. Er hatte seinen Mantel angezogen und trug seine Landkarte unter dem Arm. »Ich will mich noch einmal in der Umgebung umsehen.«
    »Natürlich …, gern«, antwortete sie und ging in die Küche.
    Nachdem er gegangen war, blieb sie eine Weile auf der Veranda stehen und überlegte. Wenn sie herausfinden wollte, was Pearlman im Schilde führte, gab es nur einen Weg: Sie musste ihm heimlich folgen. Sie zog ihre Jacke an, schnappte sich nach einigem Zögern das Gewehr und ging los. Captain folgte ihr unaufgefordert. Keine schlechte Idee, wie sie fand, so konnte sie immer behaupten, mit dem Husky unterwegs gewesen zu sein, falls Pearlman sie entdeckte.
    Sie ging zum Waldrand und folgte dem Weg, der zu dem verlassenen Goldgräbercamp führte. Das Gewehr in ihrer rechten Hand gab ihr Sicherheit. Vor ein paar Monaten hätte sie noch gelacht bei dem Gedanken, mit einem geladenen Gewehr über einen einsamen Pfad in der Wildnis zu gehen, aber inzwischen kam es ihr ganz natürlich vor, und es hätte sich auch niemand über sie lustig gemacht. Das Wetter hatte sich verschlechtert. Schmutzige Wolken verdeckten die Sonne, die nur als weißer Fleck am Horizont zu erkennen war. In den würzigen Duft, der von den Fichten am Waldrand ausging, mischte sich der Geruch von nahendem Regen. Frischer Wind strich über die Hügel und neigte

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