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Im Land des weiten Himmels

Im Land des weiten Himmels

Titel: Im Land des weiten Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Wolfe
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deutete aus dem Fenster. »… und weiß, dass ich wochenlang unterwegs sein könnte, ohne einen Menschen zu treffen.«
    »Sie würden Indianer treffen … Schon nach ein paar Meilen.«
    »Mit den Wilden hab ich wenig am Hut.« Er nippte an dem heißen Kaffee. »In den Staaten unten gibt’s schon lange keine Indianer mehr … Nun ja, abgesehen von den traurigen Gestalten, die in den Reservaten rumhängen. Ich hab mir sagen lassen, mit den Wilden in Alaska ist auch nicht viel anzufangen.«
    »Es ist ihr Land.«
    »Es war ihr Land«, verbesserte er sie, »und sie können von Glück sagen, dass hier so viel Platz ist. Aber der Fortschritt ist unausweichlich, und wenn sie überleben wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich anzupassen oder …« Er beendete seinen Satz nicht. »Warum, glauben Sie wohl, ist es uns Amerikanern gelungen, bis zum Pazifik vorzustoßen? Weil wir von Gott dazu ausersehen wurden, uns die Natur untertan zu machen. Wir brauchen die Ressourcen des Landes, wenn wir überleben wollen. Und wer weiß? Vielleicht ist das Eismeer unser neuer Pazifik. Vielleicht dringen wir jetzt nach Norden vor.«
    »Das glaube ich nicht, dazu ist dieses Land viel zu groß.« Sie lauschte dem Krächzen einiger Wildgänse, die über den nahen Wald flogen. Nach einer Weile sagte sie: »Die Indianer behaupten das Gegenteil. Sie sagen, dass wir nur ein Teil dieser Natur sind, dass die Erde unsere Mutter ist und wir ihr kein Leid zufügen dürfen. Müssten Sie als Biologe nicht genauso denken?«
    Pearlman trank seinen Kaffee aus. »Indianer leben in der Steinzeit, Ma’am. Die haben keine Ahnung, wie viele Menschen es auf diesem Kontinent gibt und was nötig ist, um sie am Leben zu erhalten. Die Natur wurde dem Menschen gegeben, um sie urbar zu machen, etwas anzupflanzen und zu ernten, vor allem das habe ich als Biologe gelernt. Haben Sie noch etwas Kaffee?«
    Sie schenkte ihm nach und wusste nicht, was sie sagen sollte. Natürlich hatten die Menschen recht, wenn sie jagten und ernteten und sich von der Natur nahmen, was sie zum Leben brauchten. Aber frevelhaft erschien es Hannah, sie mutwillig zu zerstören und immer weiter in sie vorzudringen, bis es keinen Ort mehr gab, an dem man sie wirklich genießen konnte. Wenn man in einen Nationalpark wie den McKinley fahren musste, um noch wirkliche Natur erleben zu können, und ringsum Siedlungen aus dem Boden schossen.
    Bis es in Alaska so weit war, würden noch Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte vergehen, tröstete sie sich. Bis es asphaltierte Straßen mit Automobilen in dieser Wildnis gab, wäre sie längst nicht mehr am Leben. Doch das, was Horatio W. Pearlman gesagt hatte, blieb in ihrem Unterbewusstsein hängen, und sie hatte in dieser Nacht einen seltsamen Albtraum: Unzählige Indianer paddelten den Gold River stromaufwärts, saßen geduckt und in panischer Angst in ihren Kanus, verzweifelt darum bemüht, den lodernden Flammen zu entkommen, die wie der feurige Atem riesiger Drachen in den Wäldern wüteten und die Bäume in glühende Asche verwandelten. Obwohl den Indianern klar sein musste, dass sie das rettende Eismeer niemals erreichen würden, paddelten sie so schnell und heftig wie nie zuvor, ohne sich umzusehen nach den Männern, Frauen und Kindern, die bereits in den Flammen verschwunden und ohne einen Schmerzenslaut in die Ewigen Jagdgründe gegangen waren.
    Das bedrohliche Rauschen des Feuers riss sie aus dem Schlaf und ließ sie entsetzt ins Dunkel starren, bevor sie begriff, dass sie nur geträumt hatte. Der einzige Laut, der an ihre Ohren drang, war das leise Schnarchen ihres Gastes, der im Zimmer am Ende des Ganges schlief. Sie stieg aus dem Bett und trat zum Fenster, stützte sich mit beiden Händen auf das Fensterbrett und atmete auf, als sie den dunklen Wald am anderen Flussufer sah. Kein Feuer, keine Flammen, nur der blasse Mond, der sich im ruhigen Wasser spiegelte.
    Als sie eine Bewegung bei der Anlegestelle bemerkte, glaubte sie zuerst, der Husky wäre aufgewacht und durch den vollen Mond ans Ufer gelockt worden. Erst nachdem sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, erkannte sie den alten Indianer. Chief Alex stand auf dem Holzsteg und blickte zu ihr empor, als hätte er durch seinen starren Blick versucht, sie aus dem Bett zu locken, und sie glaubte, selbst aus der Entfernung, den Vorwurf in seinen Augen zu entdecken. Seine weißen Haare leuchteten im Mondlicht.
    Sie griff nach dem Morgenrock, den sie mit der Bettwäsche

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