Im Leben wird dir nichts geschenkt.
einer Weile konnte ich nicht mehr an mich halten: »Hey, Mädchen, warum ziehst du nicht mal deine Jacke aus und atmest durch?«, fragte ich sie unverblümt. »Lass das wilde Tier raus!« Diese kultivierte Zimperlichkeit ging mir einfach auf den Geist.
Sie sah mich an und erwiderte in elegantem Englisch mit osteuropäischem Einschlag: »Weißt du was, meine Liebe? Genau das werde ich jetzt tun.« Na bitte! Sie sprach nicht nur mit mir – sie stimmte mir sogar zu. Es war einfach köstlich, und von diesem Moment an waren wir beste Freundinnen. Wie eine ungarische Marlene Dietrich nannte sie mich »meine Liebe«. Sie sollte bald einer der wenigen Menschen werden, die alle meine Geheimnisse kannten. Einige davon haben es nicht mal in dieses Buch geschafft – und sie ist die einzige Person, die weiß, welche ich für mich behalten habe.
Der französische Filmemacher Patrice Leconte hat einmal gesagt, dass Freundschaft nicht in Worte zu fassen ist – sie muss sich in Taten erweisen. Und so war es mit Eva. Ich bin groß und blond, sie ist klein und dunkel, aber wir fühlen uns, als ob wir Zwillinge wären. Wenn man uns ansieht, könnte der Unterschied nicht größer sein, aber wir haben oft über dieselben Dinge Tränen gelacht. Unsere Freundschaft eröffnete mir eine neue Welt, wie ich sie bislang nur aus Fernsehsendungen wie Dallas kannte. Sie war eine Gräfin aus einer alten ungarischen Familie, die bis vor hundert Jahren große Teile Transsilvaniens besaß. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren sie alles, doch ihr Stammbaum wimmelte von Baronen, Prinzen und Grafen. Sie war eine Aristokratin, wie sie im Buche steht, und als ich sie zum ersten Mal sah, hatte sie gerade einen englischen Lord geheiratet, der am exklusiven Londoner Eaton Place lebte. In London übernachtete ich meist lieber bei ihr zu Hause als im Hotel. Sie hatte ein Sofa mit nur zwei Kissen, sodass meine langen Beine über die Lehne baumelten, doch das glich sie immer mit Kissen und Decken aus. Es war so gemütlich.
Als wir zwei einmal dieselbe Festlichkeit besuchten, lernte ich durch sie Prinz Michael von Kent kennen, einen Cousin der Queen. Zu der Zeit war ich von Alexander Puschkin, dem Genie der russischen Literatur, vollkommen hingerissen. Ich hatte seine Biografie verschlungen und mit Herzklopfen über seinen Tod bei einem Duell um seine Frau gelesen. Ich war damals sehr traurig und hoffnungslos verliebt in einen romantischen Poeten, der seit hundertfünfzig Jahren tot war. Es war vollkommen surreal, und dennoch fühlte es sich so echt an, als lebte er im Hier und Jetzt. Prinz Michaels Verehrung für den Schriftsteller glühte vielleicht nicht ganz so leidenschaftlich, aber er bewunderte seine Werke. Für ihn war Puschkin vermutlich vor allem einer der letzten Russen, die in England akzeptiert wurden.
Man lud mich zu privaten Partys ein, wo ich Staatsminister, Leute aus dem Big Business und Mitglieder der königlichen Familie kennenlernte. Neben den eleganten englischen Rolls-Royces mit ihren Chauffeuren, die bis hin zu ihren weißen Handschuhen makellos aussahen, wirkten die amerikanischen Limousinen billig und übertrieben. Und ich hatte es Eva zu verdanken, mich in diesen Kreisen bewegen zu dürfen.
Sonst hätte man mich auch nicht in ein sehr exklusives, privates Londoner Casino gelassen, das 1828 von William Crockford und dem Herzog von Wellington gegründet worden war. Crockford’s befindet sich in einem unscheinbaren Stadthaus, wie es viele aus der Viktorianischen Ära gibt, doch wenn man es über den dicken, roten Teppichboden betritt, fühlt man sich direkt in die Blütezeit des Casinos zurückversetzt. Ich schätze, dass eine Jahresmitgliedschaft einem gehobenen Jahresgehalt entsprach. Alles bis hin zu dem wunderbaren Restaurant und den makellos angezogenen Besuchern, die Zigarre rauchten und an ihrem Cognac nippten, war äußerst geschmackvoll. Unter anderem wurde an einer Handvoll von Tischen Poker und Blackjack gespielt, und sogar die Leute, die sich darum scharten, strahlten Macht und Einfluss aus. Crockford’s diskreter Charme musste einen in Staunen versetzen, wenn man nur die Casinos aus der Plastikwüste Las Vegas kannte.
Die Mindesteinsätze waren unglaublich, und Eva und ich begnügten uns damit, dem charmanten Mann, der uns in jener Nacht eingeladen hatte, zuzusehen, doch er wollte, dass wir uns zu ihm an den Roulettetisch gesellten, und drückte uns ein dickes Bündel Geld in die Hand. Ich setzte auf die 15 – mein
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