Im Leben wird dir nichts geschenkt.
Angeles, immer in der Angst, dass plötzlich Mark anklopfte. Ob er wütend war? Ob er versuchen würde, mir meinen Sohn wegzunehmen? Nichts dergleichen geschah, und außer bei einem kurzen Telefongespräch ein Jahr später haben wir nie wieder ein Wort miteinander gewechselt.
KAPITEL SECHZEHN
MEINE WAHREN FREUNDE
W enn man vom Fahrrad fällt, ist es einem immer peinlich. Jemand eilt herbei, um einem zu helfen, doch man klopft sich die Kleider ab und behauptet, man habe sich nicht wehgetan, jedenfalls nicht wirklich. Man winkt die Person weg, doch in Wahrheit beißt man sich nur auf die Lippen, um nicht zu weinen, und spürt genau, wo man sich unter den Kleidern die Haut aufgeschürft hat und glaubt, zu bluten. Man hofft einfach, dass es nicht durch den Stoff sickert, weil man sich nicht anmerken lassen will, dass man verletzt ist. Man kommt sich irgendwie dämlich vor und versucht, weiter cool zu wirken, aber das ist nicht in Ordnung. Man beharrt einfach stur darauf, selbst damit fertig zu werden.
Genau so fühlte es sich an, in einer Beziehung mit einem gewalttätigen Mann zu leben. Ich schämte mich und war in meinem Stolz verletzt. Ich wollte die Dinge selbst in Ordnung bringen. Ich war gescheitert wie jemand, der vor aller Augen vom Fahrrad gefallen war. Jetzt musste ich aufstehen und weiterfahren. Aber was ist, wenn man sich bei seinem Sturz Prellungen geholt hat? Oder innere Blutungen? Bittet man dann um Hilfe?
Ich habe es nie getan, doch inzwischen weiß ich, dass meine Entschlossenheit, allein mit Mark fertigzuwerden, im Grunde eine Einladung an ihn war, mir den nächsten Schlag zu versetzen. Mir kam die Unterscheidungskraft zwischen richtig und falsch abhanden, und ich brachte immer weniger Selbstachtung auf. In Gedanken packte ich unzählige Male meine Koffer, während ich in Wahrheit weiterhin sein brutales Verhalten ertrug. Es wurde sogar irgendwie leichter. Aus heutiger Sicht kann ich Ihnen sagen, dass es absolut nichts Heldenhaftes hat, in einer gewalttätigen Beziehung zu bleiben. Es gibt nichts, wofür man kämpfen könnte. Es wird nicht nur niemals besser, sondern jedes Mal, wenn man es geschehen lässt, immer nur noch schlimmer. Es fällt einem irgendwie leichter, den eigenen Körper und die eigene Person zu opfern; es ist ein höchst seltsames Verhaltensmuster. Anders kann ich es nicht erklären, wenn man mich fragt, warum ich ihn nicht früher verlassen habe.
Alles hat einen Anfang. Es gibt einen ersten Schlag, einen ersten Tritt, und das ist der Moment, in dem man die Polizei rufen sollte – beim allerersten Mal. Egal, um wen es geht, genau das muss man tun. Oder aber man holt sich, wenn man kann, ein Familienmitglied ins Haus, dem man vertraut. Doch wenn man diese Chance nicht hat, bleibt nur die Polizei, je eher, desto besser. Als Nächstes muss man die Beziehung beenden – und dafür eine Lösung finden. Und zwar gleich bei diesem ersten Mal. Denn später ist man vielleicht schon zu erschöpft. Man darf eine Situation nicht aufrechterhalten, von der man in seinem tiefsten Innern weiß, dass sie nur noch schlimmer wird. Auch wenn man den Ausweg vielleicht nicht klar vor sich sieht, wird es ganz gewiss nicht leichter, wenn man Zeit verstreichen lässt. Selbst die kleinste Ohrfeige ist nicht akzeptabel.
Ich hatte das Mobbing und die Rüpeleien in meiner Schulzeit akzeptiert, und obwohl ich glaubte, das alles längst hinter mir zu haben, ließ ich mich von Mark wieder ähnlich schlecht behandeln. Es sollte mich noch eine weitere Krise kosten, noch viel schlimmer als die mit Mark, bevor ich endlich die Kraft aufbrachte, etwas nachhaltig zu ändern.
Unmittelbar nach der Trennung versuchte ich nur, irgendwie über die Runden zu kommen. Ich leckte eine Weile meine Wunden und zog dann einfach einen Schlussstrich – unter das Leben in der Wüste, unter das Leben in London und Arizona, die zweit- und drittklassigen Filme und die Partys. Es gab in dieser Zeit nur eines, dessen ich mir ganz sicher war: meinen wunderbaren Sohn.
Killian lernte seinen Vater erst mit zwanzig Jahren kennen. Bis dahin hatte es weder Geburtstagskarten noch Briefe gegeben – Killian wuchs ohne seinen Vater auf, und Mark wusste nicht, dass sein Sohn auch noch als junger Mann den Namen seines Vaters beibehielt (sein zweiter Vorname ist Marcus) und dass er stets ein Bild von Mark in der Brieftasche bei sich trug. Wie sein Vater litt auch Killian am ganzen Körper unter der Hauterkrankung Psoriasis. Er hatte es nicht
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