Im Licht des Mondes: Roman (German Edition)
hatte er – außer in seinen Gedanken – die Umrisse der Wälder, die zerstreuten Häuser, den Verlauf des Strandes und der Höhlen nicht gesehen. Und die geradezu dramatischen Klippen, wo das steinerne Haus neben der weißen Lanze des Leuchtturms stand.
Er war nicht sonderlich überrascht von dem Sog und der Anziehung und der schlichten, schieren Freude. Sam Logan war selten überrascht. Aber das Ausmaß seines Entzückens zu sehen, was sich verändert und was sich nicht verändert hatte, überraschte ihn dennoch zutiefst.
Er war nach Hause gekommen und hatte bisher nicht gewusst, nicht richtig, was das für ihn bedeutete – bis er da war.
Er parkte in der Nähe des Fähranlegers, weil er zu Fuß gehen wollte, die salzige Frühlingsluft riechen, die Stimmen auf den Booten hören, das Leben und Treiben auf dem kleinen Stück Land vor der Küste von Massachusetts in sich aufnehmen wollte.
Und natürlich, gestand er sich ein, wollte er noch ein wenig Zeit gewinnen, bevor er der Frau begegnete, deretwegen er zurückgekommen war.
Er erwartete kein warmes Willkommen. Tatsache war, dass er nicht wusste, was er von Mia erwarten konnte.
Er hatte es früher einmal gewusst. Er hatte jeden Gesichtsausdruck von ihr, jeden einzelnen Tonfall gekannt. Einstmals hätte sie am Kai gestanden, um ihn abzuholen, mit ihrem wunderbaren roten Haar, ihre rauchgrauen Augen leuchtend vor Freude und Versprechen.
Er hätte ihr Lachen gehört, wenn sie in seine Arme gesprungen wäre.
Das war vorbei, dachte er, während er in Richtung High Street hinaufstieg und die hübschen Läden und Büros passierte. Er hatte es beendet und sie – bewusst – verlassen, die Insel und Mia.
Jetzt beendete er – bewusst – dieses Exil.
Inzwischen war aus dem Mädchen, das er zurückgelassen hatte, eine Frau geworden. Eine Geschäftsfrau, dachte er mit einem kleinen Lachen. Das war keine Überraschung, Mia hatte immer schon ein Gespür fürs Geschäft und eine Nase für Profit. Er beabsichtigte, falls nötig, das zu nutzen und ihr zu schmeicheln, wenn er damit ihre Zuneigung zurückgewinnen konnte. Sam hatte nichts gegen gelegentliche Schmeicheleien, sofern sie ihm von Nutzen waren.
Er betrat die High Street und warf einen langen Blick auf das Magick Inn. Das gotische Gebäude war das einzige Hotel der Insel – und es gehörte ihm. Er hatte einige Ideen, wie er es führen wollte, nachdem sein Vater endlich die Zügel aus der Hand gegeben hatte.
Aber das Geschäft musste erst mal warten, bis das Persönliche erledigt war.
Er ging weiter, zufrieden, dass der Verkehr zwar langsam, aber stetig floss. Die Geschäfte auf der Insel gingen so gut, wie man ihm berichtet hatte.
Er hatte ausholende Schritte und kam schnell voran. Er war ein großer Mann, fast ein Meter neunzig, mit langen, trainierten Gliedern, und war in den letzten Jahren eher an Maßanzüge als an die schwarze Jeans gewöhnt, die er heute trug. Sein langer schwarzer Mantel zum Schutz gegen die frische Brise, die Anfang Mai noch wehte, bauschte sich hinter ihm auf.
Sein Haar war ebenfalls schwarz und durch die Fahrt vom Festland auf die Insel vom Wind zerzaust. Sein Gesicht war schlank mit markanten Wangenknochen. Die Herbheit wurde gemildert durch einen vollen und gut gezeichneten Mund, und mit seinem fliegenden Haar gab er ein eindrucksvolles Bild ab. Wachsam betrachtete er seine ehemalige – und zukünftige – Heimat. Seine Augen hatten die Farbe der See, die die Insel umgab, changierten zwischen blau und grün, umrahmt von dunklen Wimpern und gewölbten Brauen.
Er setzte sein gewinnendes Aussehen ein, wenn es ihm ratsam erschien, ebenso wie Scharm oder Rücksichtslosigkeit. Was immer ihm zur Verfügung stand nutzte er, um sein Ziel zu erreichen. Er war sich bewusst, dass er alles ihm zur Verfügung Stehende einsetzen würde, um Mia Devlin zurückzuerobern.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus betrachtete er das Buch-Café. Es hätte ihm klar sein müssen, dass Mia ein heruntergekommenes Gebäude kaufen und daraus etwas Schönes, Elegantes, Sinnvolles machen würde. Die Schaufensterscheibe gab den Blick frei auf eine Buchauswahl und Frühlingsblumen, die um einen Gartenstuhl dekoriert waren. Zwei ihrer größten Lieben, sinnierte er. Bücher und Blumen. Sie hatte sie in einer Weise arrangiert, die suggerierte, dass es Zeit wäre, eine Pause einzulegen und die Früchte seiner Arbeit lesenderweise zu genießen.
Während er das beobachtete,
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