Im Licht des Vergessens: Roman (German Edition)
war. Sich nicht im eigenen Büro zu treffen war nicht nur lässiger, sondern hatte auch andere Vorteile: Er hatte nämlich festgestellt, dass seine Gesprächspartner über einem Bier im Pub wesentlich offener redeten, als sie es bei Mineralwasser in einem Konferenzraum je getan hätten. Und er hatte auch festgestellt, dass es meist wesentlich interessanter und aufschlussreicher war, sich bei den jeweiligen Gesprächspartnern zu treffen. In ihrer eigenen Umgebung fühlten sie sich deutlich wohler, was Duncan zugute kam.
Gemäß dieser Philosophie hatte er sich bereits zum Frühstück in einem Café in der Altstadt getroffen, um dann bei einem schrägen kleinen Theater auf der Southside vorbeizuschauen und schließlich den Weg zu einem heruntergekommenen Haus im viktorianischen Viertel zu finden. Jedes Mal hatte er das Gefühl gehabt, auf diese Weise mehr erreicht und seine Zeit besser genutzt zu haben, als wenn er die Beteiligten in ein vollgestopftes Büro gebeten hätte, wo er hinter einem Schreibtisch festsäße.
Als er in die Jones Street einbog, hoffte er, dass das auch für seine letzte Verabredung an diesem Tag gelten würde. Er hatte eigentlich einen anderen Zeitpunkt wählen und nur vorbeischauen wollen, wenn Phoebe da war. Aber das war ihm dann doch ein wenig zu hinterhältig vorgekommen. Das war zwar durchaus eine bewährte Strategie, aber sie wäre ihm so oder so auf die Schliche gekommen.
Er parkte seinen Wagen und machte einen hübschen kleinen Spaziergang durch die Allee.
Er wollte sie sehen – und nicht nur kurz vorbeischauen, wie es ihr ging, so wie in den letzten beiden Wochen. Er hatte Zeit geschunden, vielleicht spielte er auch ein kleines Spielchen mit ihr. Sie wusste nicht genau, wie sie ihn einschätzen sollte, und das war ihm nur recht.
Er konnte sich oft nicht mal selbst richtig einschätzen, und auch das war ihm recht.
Aber wenn er etwas wusste, dann dass sie ein schweres Trauma erlitten hatte und gerade dabei war, es zu verarbeiten. Es hatte also keinen Sinn, sie zu einer Verabredung drängen oder sie ins Bett kriegen zu wollen. Nicht, solange sie noch vollkommen neben sich stand.
Er hatte andere Pläne. Er machte gerne Pläne und hatte auch nichts dagegen, sie an die äußeren Gegebenheiten anzupassen, ja sie entsprechend zu ändern, bevor er sie in die Tat umsetzte.
Er lief die Auffahrt zum Haus der MacNamaras hinauf und klingelte. Während er wartete, bewunderte er die Töpfe und Körbe voller Blumen auf der Veranda. Ava war die mit dem grünen Daumen, fiel ihm wieder ein. Vielleicht konnte er sie überreden …
»Hallo.« Er schenkte Essie ein strahlendes Lächeln. »Haben Sie kurz Zeit für einen ungebetenen Gast?«
»Sie sind kein ungebetener Gast, und ich habe immer Zeit für gut aussehende junge Männer.«
Wegen seiner zahlreichen Stippvisiten waren sie dazu übergegangen, sich auf die Wange zu küssen. Auch jetzt streiften seine Lippen ihre Haut, und er roch einen Hauch ihres Parfüms.
Wie fühlt sich das an, fragte er sich, jeden Morgen aufzustehen, sich anzuziehen und zu schminken, obwohl man genau weiß, dass man niemals einen Fuß vor die Tür setzen wird?
»Woher wussten Sie, dass ich gerade Kekse backe?«, fragte sie, woraufhin sein Lächeln einem breiten Grinsen wich.
»Was denn für Kekse?«
»Chocolate-Chip-Cookies.«
»Ehrlich? Einfach so? Nur gut, dass ich vorbeigekommen bin, um sie zu testen.«
»Es ist mir ein Vergnügen. Phoebe kommt erst in ein paar Stunden nach Hause«, fügte sie hinzu, während sie vor ihm her ging. »Und Ava ist gerade einkaufen. Sie fährt noch an der Schule vorbei, um Carly von der Theatergruppe abzuholen. Unsere Carly ist eine der bösen Stiefschwestern in Aschenputtel . Sie liebt es, so richtig schön gemein und herrisch sein zu dürfen.«
»Ich war mal der Frosch. Aber nicht die Sorte, die sich in einen Prinzen verwandelt, wenn man sie küsst. Nur ein Frosch. Ich musste auf Befehl quaken. Ein wirklich unvergesslicher Moment.«
Sie lachte und bat ihn an den Küchentisch. »Ich wette, Ihre Mutter war sehr stolz auf Sie.«
Er sagte nichts darauf. Was hätte er auch darauf antworten sollen? Stattdessen schnupperte er hörbar. »Das duftet ja himmlisch.«
»Und was haben Sie heute Schönes gemacht?«
»Ich habe hauptsächlich mit Leuten geredet. Und wenn ich ehrlich sein soll, hoffte ich, den Tag damit zu beschließen, auch mit Ihnen zu reden. Es geht um dieses Anwesen, das ich im Auge habe. Es liegt im viktorianischen
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