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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Pferd, das Clee letztes Mal hiergelassen hat. Ich habe nur wenig Obst mitgenommen und es an unserem gewohnten Platz aufgebaut …
    Das Pferd?, sagte er. Sein Ton ließ sie aufhorchen, und sie schaute ihn stumm an. Er wusste genau, welches Pferd sie meinte. Clee ließ manchmal ein Pferd bei ihnen, damit Talmadge es nutzen konnte, wenn er ein stärkeres Tier brauchte als das Maultier.
    Ja, sagte sie und wandte den Blick ab, ganz sachlich. Das ist schon in Ordnung, Talmadge, es ging alles gut …
    Er war verblüfft. Noch bevor es ihm selbst klar war, hatte sie schon gespürt, dass er ärgerlich auf sie war. Aber warum, dachte er, sollte er ärgerlich auf sie sein?
    Es war die alte Reaktion, er und die Pferde – aber dieses Mädchen, Angelene, kam sehr gut zurecht.
Sie kam sehr gut zurecht,
ermahnte er sich. Er streckte die Hand aus und berührte sie an der Schulter, tat so, als wischte er dort etwas beiseite, ein Stück von einem Blatt, eine Haarsträhne. Sie lächelte leise. Das Lächeln hieß: Ich verzeihe dir.
     
    Wieder allein in ihrer Zelle, nahm Della den Brief aus dem Umschlag und betrachtete die Wörter auf der Seite.
    Er hatte ihn nicht selbst geschrieben, da war sie sich sicher; es war eine Frauenhandschrift. Kurz fragte sie sich, ob es Angelenes Schrift war, verwarf es aber gleich wieder. Dafür sah sie zu erwachsen aus.
    Sie ging zum Fenster und blickte hinaus.
    Er war also hergekommen, um sie zu besuchen, und würde wiederkommen. Das schadete vermutlich nichts; die Begegnung mit ihm würde ihre Pläne nicht allzu sehr stören, dachte sie. Es bedeutete ihr nichts, ihn zu sehen – sie würde seinen Besuch hinnehmen und ihn hinter sich bringen –, aber er, Talmadge, durfte auf keinen Fall herausfinden, dass auch Michaelson hier saß. Das könnte alles ändern.
    Doch es war nicht gesagt, dass er es herausfand. Selbst wenn der Amtsrichter ihm berichtete, was vorgefallen war, ihm von ihrem Angriff auf Michaelson erzählte – er war ja jetzt unter anderem Namen bekannt. Solange Talmadge keine weiteren Nachforschungen anstellte, würde er nicht so leicht darauf kommen.
    Trotzdem war sie beunruhigt.
    Aber ihr blieb nichts anderes übrig, als seinem Besuch zuzustimmen. Sie durfte kein Theater machen, nicht deswegen; sie musste sich in Geduld üben, den richtigen Augenblick abwarten.

    In zwei Wochen würde er erneut aufbrechen. Er hatte sich mit dem Richter beraten. Er würde Angelene informieren – was genau er ihr sagen würde, wusste er nicht, aber irgendetwas
musste
er ihr ja sagen – und versuchen, bis dahin so viel zu schaffen wie möglich. Er merkte, wie sie sich über seine neue Energie wunderte, seine Betriebsamkeit, die etwas Hektisches an sich hatte, wie er selber wusste. Aber sie sagte nichts – vielleicht dachte sie, er leide noch unter der Überanstrengung von seiner Reise nach Chelan.
     
    Sie arbeiteten im Apfelgarten vor dem Eingang zum Canyon, als Angelene plötzlich die Arme aus den Ästen zog und den Kopf zum Wald drehte. Mit dem Ausdruck eines Tiers, das Sturm wittert. Es ist noch zu früh, sagte er. Er wusste, dass sie auf die Männer wartete; er tat es auch. Doch es war tatsächlich noch zu früh. Sie kamen in der ersten Juliwoche, und es war gerade erst Juni geworden. Angelene arbeitete widerstrebend weiter. Eine Minute später hielt sie erneut inne, zog den Kopf aus den Ästen, drehte sich zum Wald um. Sie wollte gerade etwas sagen, als der Waldrand in Bewegung geriet und Pferde daraus hervorbrachen; zuerst zwei oder drei nebeneinander, dann ein ganzer Haufen, der auf das Feld kam.
    Tja, sagte Talmadge, und sie stiegen von den Bäumen und liefen den Hang hinunter zum Bach, zu den Pferden.
    Wie immer staunte er, wie hässlich und schön zugleich die Pferde waren. Die verschiedenen Formen, Größen, Farben: beige, schwarz, braun, gelb, Pferde mit geflecktem Rumpf oder Strümpfen; ein paar Schimmel mit rosa Schnauzen und blauen Augen; große Pferde mit muskulösem Hals; andere kleingewachsen, unterentwickelt, zwergenhaft. Alle um eine Vierteltonne schwer, manche noch schwerer. Er bekam solche Herden seit Jahrzehnten regelmäßig zu sehen, und doch war er jedes Mal wieder überrascht, wenn sie zwischen den Bäumen auftauchten. Sie waren schmutzig und ungepflegt, übel riechend; letztlich unberechenbar. Vielleicht war es das, was sie so eindrucksvoll machte: ihre
Unberührtheit.
Oben in den Bergen, wo man sie eingefangen hatte, war ihnen nie ein Mensch begegnet. Die Männer waren

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