Im Licht von Apfelbäumen | Roman
hielt seine ebenfalls hoch, die er zuvor auf dem Schoß mit der Hand umschlossen gehalten hatte.
Clee gab ihm den Tabakbeutel, und nach einigen Sekunden – woran hatte er gedacht? – begann Talmadge, seine Pfeife zu stopfen. Seine Hände zitterten leicht. Clee beobachtete ihn, schaute dann weg.
Sie rauchten schweigend. Nach einer Weile sagte Talmadge:
Der Richter hat das Mädchen gefunden …
Clee blickte auf. Er zog an der Pfeife, blies rasch den Rauch aus dem Mundwinkel.
Sie ist in Chelan, in einer Haftanstalt …
Clee rührte sich nicht; nach einer Weile beugte er sich vor, nahm die Pfeife aus dem Mund. Spuckte aus. Verharrte lange so, reglos, mit gesenktem Blick.
Sie hat versucht, einen Mann umzubringen, fuhr Talmadge fort. Hat ihn angeblich mit einer zerbrochenen Flasche niedergestochen. Na ja, ich weiß kaum was darüber. Der Richter hat sie aufgespürt …
Clee nahm langsam die Pfeife wieder in den Mund.
Angelene weiß nichts davon. Ich hab’s ihr noch nicht erzählt. Ich meine, sie weiß, dass ich hingefahren bin, aber ich habe ihr nicht gesagt, dass sie in Haft sitzt …
Clee nickte. Dann sah er Talmadge an. Er machte eine bedächtige, schwerfällige Bewegung mit dem Kopf und sah Talmadge scharf an, was so viel hieß wie: Du hast sie besucht?
Talmadge führte die Pfeife an die Lippen und sah, dass sie ausgegangen war. Clee fischte Streichhölzer aus seiner Westentasche.
Ich hab sie nicht gesehen, sagte Talmadge und lehnte sich zu Clee hinüber, damit er ihm Feuer geben konnte. Sie war … in einer Zelle eingesperrt, wo sie keinen Besuch haben durfte. Sie hatte sich … schlecht benommen. Irgendwas ausgefressen. Sie haben’s mir nicht erzählt. Er steckte sich die Pfeife zwischen die Lippen.
Nach einer Weile nickte Clee.
Sie werden sie dort behalten … ich weiß nicht, wie lange. Vielleicht ist der Mann tot, den sie niedergestochen hat, das wissen sie nicht. Es ist, als ob … na ja, als
wollte
sie dort sein. Sie hat ein Geständnis abgelegt …
Clee schaute Talmadge an. Sie schwiegen einige Minuten.
Als Talmadge den Blick schweifen ließ, entdeckte er Angelene zwischen den Feuern und den Männern. Sie strich dort herum, um sie durch ihre beharrliche Anwesenheit wissen zu lassen, dass sie ihnen jederzeit zu Diensten sein würde. Die Männer jedoch ignorierten sie weitgehend. So war es immer gewesen. Er erinnerte sich, dass sie es am Anfang auch mit Della so gehalten hatten. Mitunter, nach einem langen Arbeitstag in den Bäumen, nahmen sie wohl einmal Notiz von Angelene, scherzten vielleicht sogar mit ihr oder neckten sie; doch meistens duldeten sie sie nur in ihrer Nähe, ohne ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht weil sie sich von ihr belästigt fühlten; eher war es ein Zeichen von Respekt, dachte Talmadge: Angelene gegenüber, ihm gegenüber. Sie nicht zu verwöhnen, keine Ausnahme für sie zu machen. Er glaubte, dass sie das verstand, obwohl sie sich über die scheinbare Ablehnung der Männer manchmal wunderte.
Gerade jetzt pfiff einer leise aus dem Mundwinkel und wies mit dem Kopf auf den niedrigen Tisch neben Angelene. Bring mir mal den Teller da, hieß das, was sie eilends tat. Er legte ein Stück Fleisch darauf, sprach kurz mit ihr, ohne sie anzuschauen, worauf sie nickte und den Teller zu einer Gruppe sitzender Männer trug. Einer von ihnen nahm ihr den Teller ab, lächelte und sagte etwas zu ihr. Sie erwiderte etwas, und die Männer lachten. Als Angelene sich umdrehte, sah Talmadge, dass auch sie lächelte – und errötete.
Später dachte er noch einmal daran, wie Angelene in der Dunkelheit des Lagers umhergewandert war. Im Feuerschein hatte sie ausgesehen, als sehnte sie sich nach irgendetwas; da war eine Art von Kummer in ihrem Gesicht. Doch wenn er sie gerufen hätte, wäre sie zu ihm gekommen, und ihre Miene hätte sich verschlossen oder wäre zumindest wieder wie sonst gewesen, so sanftmütig, wie sie ihn immer anschaute.
Aber was war das für ein Ausdruck gewesen? Was bedeutete er? War sie unglücklich? Kannte auch sie, oder ein Teil von ihr, den Wunsch, fortzugehen?
Letztlich war ihm der Kummer in ihrem Blick vertraut, er hatte früher selber so empfunden. Als Junge war er glücklich gewesen, wenn die Männer kamen, und in mancher Hinsicht wollte er, dass sie immer blieben; doch zugleich beunruhigte ihn ihre Ankunft, weil er nicht mehr allein war. Der Kummer rührte vom Widerstreit dieser beiden Gefühle her – der Freude über die
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