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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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    Sie hatte sich für mutig gehalten, als Talmadge an jenem Tag zu ihr an den Bach gekommen war und sie gefragt hatte, ob sie ihn nach Chelan begleiten wolle. Sie wäre lieber nicht mitgefahren, hatte sich seiner Aufforderung nicht gewachsen gefühlt und trotzdem Ja gesagt. Denn sie wusste jetzt, was Della und Jane passiert war, und damit war das Fundament für Mitgefühl gelegt: Della verdiente ihr Mitleid, also würde sie, Angelene, es ihr entgegenbringen. Sie würde ihr beistehen, weil auch Talmadge das tat. Und weil er es, selbst wenn er das nicht sagte, von ihr erwartete.
    Dieser neuen Großherzigkeit, die sie nicht empfand, aber zu empfinden bereit war, versuchte sie ihre äußere Erscheinung anzupassen. Sie achtete auf ihre Haltung; sie kaufte sich einen Hut. Jederzeit würden jetzt die Klarheit und das Selbstbewusstsein der erwachsenen Frau in ihr aufblühen.
    Nur wusste sie nicht, wo der Zweifel begann. Zweifel und Angst waren immer da gewesen, aber sie hatte sich bemüht, sie ständig neu zu ordnen, und darin lag die Chance einer Verwandlung. Das redete sie sich ein; das hoffte sie. Und als sie dann merkte, dass sie doch Zweifel hatte, dass es doch Angst war, was sie empfand, redete sie sich ein, das sei nicht weiter wichtig. Wichtig sei nur, dass sie versuchte, anders zu empfinden. Aber mit dem Gang zum Gericht fiel das alles in sich zusammen: Als sie die Treppe hinaufgingen, fühlte ihre Hand sich ganz kalt an in Talmadges heißer Hand. Sie konnte es nicht. Sie war keine Erwachsene; sie war nicht großherzig, sie war nicht mutig. Wenn man sie zwingen würde, sich vor die Zelle zu stellen und dieser Person Trost zu spenden – dieser Heldin und Hexe aus ihrer Kindheit –, würde sie die Fassung verlieren. Sie würde sich die Haare ausreißen, gegen die Gitterstäbe treten. Sie würde brüllen. Della wusste etwas über sie, Angelene, das Angelene selbst noch nicht über sich wusste, und dieses Wissen machte sie fuchsteufelswild.
    Sie war noch nicht bereit, sie wiederzusehen. Und so ging Talmadge den Rest der Treppe allein hinauf.
    Angelene saß jetzt auf einer Bank, die an einem gewaltigen Baum – einer Kiefer – festgemacht war, und blickte über den zur Straße hin sanft abfallenden Rasen. Ein Streifen See schimmerte zwischen den Ladenfronten auf der anderen Straßenseite hindurch.
    Ihr Hut lag neben ihr auf der Bank, der gescheiterte Freund. Der Wind frischte auf, fuhr ihr unter den Kleiderkragen und badete ihren Kopf. Sie atmete tief ein und aus, schämte sich schon nicht mehr ganz so sehr. Sie wartete.

    Noch ehe Della ihn sah, spürte sie, dass er da war; roch sein nach Kiefern duftendes Haarwasser schon, bevor der Wärter ihn hereinließ. Und dann hörte sie das verräterische Räuspern. Ein nervöser Tick von ihm, den sie von früher kannte. Sie vermied es so lange wie möglich, ihn anzusehen.
    Schließlich blickte sie zu ihm auf.
    Der Wärter ließ sie allein. Talmadge stand dicht vor dem Gitter, in einer Hand einen Leinensack.
    Er sah, dass sie zu dem Sack schaute.
    Nicht von mir, sagte er. Die sind von dem Mädchen. Als wir losgefahren sind … Doch dann zögerte er und wandte den Blick ab. Sie dachte, du würdest dich vielleicht über ein paar Aprikosen freuen, sagte er.
    Della wollte nicht zu ihm gehen, aber irgendetwas zog sie zum Gitter. Sie nahm den Sack und schaute hinein. Neun Aprikosen – sie zählte sie – leuchteten ihr entgegen, manche noch mit Blättern am Stiel.
    Hast du mit dem Amtsrichter gesprochen?, fragte Talmadge.
    Della wandte sich ab, ging zum Fenster, sah hinaus. Sie hatte seinen Versprecher gehört –
Als
wir
losgefahren sind
 – und ahnte, dass das Mädchen, Angelene, in der Nähe war.
    Ist sie auch hier?
    Er antwortete nicht sofort.
    Sie wollte nicht mit hereinkommen … dieses Mal, sagte er.
    Della spähte zum Rasen vor dem Gericht. Weit entfernt, in der Nähe der Straße, stand eine große Kiefer mit drei um den Stamm herumgebauten Bänken. Auf der von ihr abgewandten Seite saß jemand, ein Mädchen oder eine Frau, sie konnte nur das Profil ausmachen. Dann bewegte die Person sich ein wenig, und Della sah nur noch einen Teil ihrer Schulter. Nach einer Weile wandte sie ihr erneut die Seite ihres Gesichtes zu.
    Ist sie da draußen?
    Talmadge schwieg.
    Die weibliche Gestalt bewegte sich, wenn auch nur geringfügig, immer hin und her. Was machte sie da? Las sie? Sprach sie mit jemandem? Fütterte sie Eichhörnchen oder Vögel? Der Wind

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