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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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zu reden, doch ihre Geduld, ihre Fähigkeit, so eine Begegnung auszuhalten, war aufgebraucht. Sie konnte nicht mehr.
    Sie hatte die Augen geschlossen und war ein paar Minuten so sitzen geblieben. Als sie sie wieder öffnete, war er fort.
     
    Sie haben den Antrag gelesen, sagte der Richter. Sie haben unsere Bitte erhört. Sie wollen sie nach Walla Walla schicken …
    In ein Männergefängnis?, fragte Talmadge und stand so rasch von seinem Stuhl auf, wie seine Kräfte es zuließen. Das also ist ihre geniale Antwort …
    Nach einigen Sekunden setzte er sich wieder. Der Richter blickte mit leicht betretener Miene auf eine Ecke seines Schreibtischs und erklärte Talmadge, dass Walla Walla auch weibliche Häftlinge aufnehme; doch Talmadge schien unfähig, ihn zu verstehen.
    Ich glaube, da können wir nichts machen, Talmadge.
    Sagen Sie ihnen, dass ich sie sehen will.
    Das mache ich, aber …
    Ich möchte sie sehen, und ich möchte sie für einen Tag da rausholen, bevor sie sie wegschicken. Wenigstens das können sie uns zugestehen.
    Talmadge, sagte der Richter vorsichtig, sie schulden Ihnen nichts … oder ihr. Er schwieg einen Moment. Sie hat versucht, einen Mann umzubringen, Talmadge. Mehr als einen. Was erwarten Sie?
    Talmadge stand wieder auf.
    Ich erwarte, dass jemand sie da rausholt! Ich erwarte, dass jemand sie aus der Anstalt rausholt!
    Nach ein paar Sekunden zog der Richter ein Blatt Papier zu sich heran. Er räusperte sich.
    Ich werde sehen, was ich tun kann, sagte er.

    Die Erntezeit nahte, doch Angelene bemerkte, dass Talmadge sich nicht wie sonst darauf vorbereitete. Er stieg zwar oft in die Bäume oder schritt die Reihen ab, doch er hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck dabei und schaffte letztlich nicht viel. In den Wochen, bevor die Männer auf die Plantage kamen, jener Zeit, in der Talmadge und Angelene normalerweise gemeinsam die Bäume präparierten und die ersten Früchte pflückten – der Ablauf war jedes Jahr anders, je nach Wetter und Zustand der Bäume –, teilte Talmadge ihr dieses Mal nicht mit, welche Vorbereitungen er für nötig hielt; er teilte seine Pläne überhaupt nicht mit ihr. Ja, sie glaubte, er hatte gar keine. Noch im Jahr zuvor wäre ihr so etwas undenkbar erschienen. Wann war diese Veränderung, diese spezielle Veränderung, eingetreten?
    Sie wachte nachts auf und hörte ihn in der Hütte rumoren, Kaffee kochen, auf die Veranda gehen und wieder hereinkommen. Er konnte nicht schlafen. Und er verlor den Appetit.

    In der zweiten Septemberwoche kamen die Männer auf die Plantage, und trotz des Zustands der Bäume – es schien kein Problem zu sein, dass sie vernachlässigt worden waren –, machten sie sich sofort an die Arbeit. Talmadge und Clee schlossen sich weder ihnen noch Angelene an, sondern wanderten in den Canyon, bis zum oberen Apfelgarten und noch weiter, zu der Hütte und dem Teich.
    Ich weiß keinen anderen Ausweg, sagte Talmadge. Ich brauche deine Hilfe …
    Er hatte sich gebückt und mit enormer Anstrengung einen großen Stein umgewälzt, der halb in der Erde versunken war. Suchte darunter nach etwas – Raupen? Er wirkte abwesend. Ein paar schwarze Haarsträhnen entwischten seinem Pomadefilm und fielen ihm in die Augen. Er presste die Lippen aufeinander.
    Clee, neben ihm, hatte sich alles angehört: seinen Bericht von der nachlassenden Gesundheit des Mädchens, ihrem Delirium; ihrem Beharren darauf, mehr Zeit zu brauchen. Talmadges Überzeugung, dass sie diesen Mann, Michaelson, töten wollte.
    Aber sie würde Michaelson nicht töten, wollte er Talmadge sagen. Sie mochte zwar den Wunsch dazu angedeutet haben, doch sie würde es nicht tun. Er erinnerte sich an die Zeit, als sie mit den Männern unterwegs gewesen war, an ihr Widerstreben, ein Tier für den eigenen Verzehr zu töten. Talmadge hatte ihr das Schießen beigebracht, und wenn sie mit den Männern über Land geritten war, hatte sie vielleicht nicht besonders geschickt, aber erfolgreich Tiere gejagt und getötet. Doch Clee hatte sie genau beobachtet und gesehen, dass sie lieber gar kein Fleisch aß, als ein Tier zu töten. Kurz nachdem sie sich den Männern angeschlossen hatte, bemerkte Clee, dass sie ihr Gewehr, auf das sie zuerst so stolz gewesen war, kaum noch benutzte. Auf das Gewehr als einen Gegenstand, der ihre Unabhängigkeit symbolisierte, war sie immer noch stolz, glaubte er, nur nicht unbedingt auf seinen tödlichen Nutzen als Waffe.
    Aus der Ferne auf ein Lebewesen zu schießen, war

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