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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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sein. Vielleicht gab es dort ein Wirtshaus oder dergleichen, dachte Talmadge; er und Angelene hatten seit dem Morgen nichts mehr gegessen, und er war hungrig.
    In dem Lagerhaus befand sich ein großes Schiff, ein Dampfer, weiß mit grünem und blauem Rand. Die Leute gingen über eine breite, links und rechts mit dicken Tauen gesicherte Brücke an Bord, Männer und Frauen, Liebespaare, aber auch andere, ältere Paare und Familien. Nur ein, zwei Personen stiegen allein zu. Ein Mann am Eingang verkaufte die Fahrkarten. Nachdem Talmadge das Schiff einige Minuten lang betrachtet hatte, ging er zu ihm und fragte ihn, wozu es hier liege: wo der Dampfer denn hinfahre. Der Mann – klein, mit Schnurrbart und Schiebermütze – sah Talmadge so an, als halte er ihn für einen Dummkopf. Die Zigarre, die zwischen seinen Lippen steckte, war ausgegangen. Angelene beäugte ihn mit kaum verhohlener Abneigung. Seiner Antwort – er sprach leiernd und gedehnt und wandte den Blick von Talmadge ab – war deutlich anzumerken, dass es eine einstudierte Rede war: Haben Sie noch nie was von unserer
Lady of the Lake
gehört? Von dem Dampfschiff, das bis zur allerobersten Spitze des Chelan-Sees fährt? Sie haben Glück, mein Freund, denn es fährt nur zweimal am Tag, und Sie kommen gerade recht für die zweite Tour. Wenn Sie jetzt nicht mitfahren, müssen Sie morgen früh wiederkommen, sehr früh, und wenn Sie das versäumen – hier verzog er das Gesicht wie bei einem üblen Gestank –, also, dann können Sie doch genauso gut gleich mitfahren, selbe Strecke, anderer Tag … Und er zuckte mit den Schultern, als sei es ihm egal. Er kaute einen Moment auf seiner Zigarre herum und sagte dann, noch immer ohne Talmadge anzusehen: Was soll’s sein, mein Freund? Zwei Tickets für Sie und die junge Dame? Heute oder morgen? Morgen oder heute?
    An einem Stand auf der gegenüberliegenden Seite des Lagerhauses kauften sie sich zwei Eistüten und gingen damit zum Strand zurück. Sie setzten sich auf einen Stapel alter Eisenbahnschwellen, von denen ihre Kleidungsstücke hinten feucht wurden. Er blickte zum Wasser, zu den Kindern, die im Flachen herumplanschten, und zu den Aufsichtspersonen am Ufer. Es war zu kalt zum Schwimmen, zu kalt für Eis. Dabei war es Hochsommer. Oder wenig später. Es würden noch sehr heiße Tage kommen. Angelene blinzelte in der vom Wasser reflektierten Sonne und leckte ihr Eis. Er fragte sie nicht, ob sie gern mit dem Schiff fahren würde. Sie mussten zur Plantage zurück. Plötzlich hatte er das Gefühl, als würden sie nie mehr dort ankommen. Er saß da, mit seiner Eistüte in der Hand, und war ganz verwirrt.
    Talmadge, sagte Angelene: Guck mal. Das Schiff legte ab. Es schien sich ganz langsam zu bewegen, doch in Wirklichkeit fuhr es ziemlich schnell.
    Als sie wieder oben an der Straße ankamen, war die Sonne untergegangen. Talmadge fühlte sich verstört und zittrig, und ihm war schlecht von dem Eis.
    Sie fasste ihn leicht am Ellbogen, doch er schüttelte sie ab und sagte schroff: Mir geht’s gut.

    Talmadge würde dem Amtsrichter von Michaelson erzählen; und so blieb Della nur noch ein kleiner Handlungsspielraum.
    Sie war noch nicht einmal wütend auf ihn. Sie verstand, dass er glaubte, dem Amtsrichter von ihrer Vergangenheit erzählen zu müssen. Sie war nur müde und verwirrt. Wenn sie ihre fünf Sinne beisammen gehabt hätte, wäre sie vielleicht wütend gewesen. So war sie es nicht.
    Bitte tu es nicht, hatte sie zu ihm gesagt. Bitte nicht.
    Er hatte zwar verblüfft gewirkt – über ihren Ton, der hilflos, matt, flehentlich gewesen war –, aber fest entschlossen. Sie sah die Empfindungen wie Wetter über sein Gesicht ziehen.
    Ich werde es ihm erzählen, sagte er. Er muss es wissen, Della. Wir müssen … dich hier herausholen. Und das wird helfen. Du brauchst keine Angst zu haben.
    Sie hatte geschwiegen und war mit dem Sack Aprikosen zu ihrem Bett gegangen. Hatte sich hingesetzt. Hatte gewünscht, er würde gehen. Sie brauchte Zeit, um sich hinzulegen und, vielleicht, zu weinen; um zu schlafen und einen Plan zu entwickeln. In den letzten paar Tagen hatte ihr nichts einfallen wollen, doch heute, in dieser Nacht, käme ihr vielleicht eine Idee. Darauf musste sie sich vorbereiten.
    Bitte geh.
    Ihre Stimme war nicht böse, nur dringlich – es war
notwendig
für sie, dass er ging, weil sie sich nicht noch länger zusammennehmen und höflich sein konnte. Sie hatte ihm erlaubt, kurze Zeit zu bleiben und mit ihr

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