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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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manchmal weh, wovon? Von einer Müdigkeit ohnegleichen – und schlurfte zum Fenster. Ein Streifen lauer Dunkelheit. Wenn sie sich tief hinunterbeugte und den Hals reckte, konnte sie den Mond sehen. Manchmal war er eine helle Insel auf dem Boden ihrer Zelle, und sie beobachtete ihn, mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett sitzend. Misstrauisch, dann ruhig. Traurig. Am Ende leer. Wenn der Mond verschwand, spürte sie einen entsetzlichen Schmerz hinten in der Kehle, in ihrem Mund; und behielt ihn dort so lange wie möglich. Sie schluckte ihn hinunter. Irgendwann legte sie sich auf die Seite und schlief ein.

    Als Talmadge Angelene fragte, ob sie ihn zu Della begleiten wolle, sagte sie Ja.
    Sie saß am Bach, auf einem Stuhl mit lederner Rückenlehne, und machte die Wäsche, das Becken vor ihren Füßen und das Waschbrett zwischen den Knien. Sie trug ihr Waschkleid, das groß und unförmig war, jetzt aber einen Schenkel entblößte. Ein paar Strähnen hatten sich aus ihrem Haarknoten gelöst. In ihrer Konzentration stellte sie die Füße auf die Ballen und spannte die Wadenmuskeln an.
    Es war eine frauliche Haltung, dachte er und staunte wieder einmal, wie sehr sie sich in letzter Zeit verändert hatte, wie rasch die Mädchenhaftigkeit von ihr abfiel; er musste an eine sich häutende Schlange denken. Mädchenhaftigkeit, die wie ein Schleier von ihr weggezogen wurde und etwas Neues enthüllte – aber was?
    Wenn er jetzt morgens aus dem Schlafzimmer kam, war er jedes Mal wieder überrascht, nicht mehr das Mädchen Angelene zu sehen, sondern die Mädchenfrau, die ihm Kaffee kochte und seine Kleider flickte und manchmal noch wie Angelene lächelte, aber auch ein anderes, zunehmend verschlossenes Gesicht zeigte. Ihr Lächeln war oft abwesend; das große Rad des Denkens hatte angefangen, sich zu drehen, und häufiger als früher musste er raten, was ihre Miene zu bedeuten hatte.
    Als er nun zu ihr an den Bach ging, war da etwas an ihrer äußeren Erscheinung, an ihrem bloßen Bein und dem gelösten Haar, das ihm bäuerisch vorkam. Beinahe ärgerte er sich. Aber worüber?, dachte er. Ihr Gesicht war hochkonzentriert, während sie die Arme wieder und wieder in das gräuliche Wasser tauchte. Bei ihr angelangt, wusste er nicht, was er sagen sollte. Doch sie blickte zu ihm hoch, und einen Moment später richtete sie sich auf und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. Sie legte eigens für ihn eine Pause ein, wartete auf das, was er zu sagen hatte. Und da fragte er sie, ob sie mit ihm nach Chelan kommen wolle, um Della zu besuchen. Er hatte das gar nicht geplant. Doch nun fuhr er fort: Er wisse nicht genau, wann er fahren würde, aber auf jeden Fall sehr bald. Vielleicht noch diese Woche. Sie keuchte von der Anstrengung des Waschens, wischte sich noch einmal mit dem Unterarm über die Stirn, und er machte eine kleine Veränderung in ihrem Blick aus, obwohl sie ihn nicht ansah, sondern den Bach hinunterschaute. Dann nickte sie und sagte: Ja. Gut, schürzte leicht die Lippen und beugte sich wieder über die Wäsche.
    In letzter Zeit übernahm sie oft Aufgaben, die sie körperlich stärker forderten, ja, die sie vollkommen erschöpften, oder niedere Arbeiten, die ihrer schieren Monotonie wegen anstrengend waren. Er bat sie nicht darum, und in Wahrheit war manches davon unnötig; aber wenn er morgens aufwachte, zupfte sie schon Unkraut im Pflaumengarten oder räumte die Speisekammer aus, um Risse in den Wänden mit Zeitung zuzustopfen. Oder die Regalbretter neu zu streichen. (Woher hast du die?, fragte er sie mit Blick auf die Farbe. Aus dem Schuppen, sagte sie. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, diese Farbe je gekauft zu haben, doch da war sie, in ihren Händen, und so musste es wohl stimmen – er hatte sie gekauft.) Tags zuvor hatte sie die Aprikosenbäume nach Schädlingen abgesucht, mit den Fingern leicht über die Rinde streichend, an der Unterseite der Zweige entlangtastend, Larven abzwackend, die sie dann unter ihrer Stiefelsohle zerdrückte. Und nun war das Waschen von Bettzeug und Tischwäsche an der Reihe, ja sogar die Maultierdecke sah er mit Erstaunen später zum Trocknen in einem Baum hängen.
    Er machte kehrt, unsicher, was da gerade geschehen war. Er war zu ihr gegangen, um ihr zu sagen, dass sie sich bedecken, sich auf ihr Alter und ihr Geschlecht besinnen solle und darauf, wo sie sich aufhielt, und stattdessen hatte er sie aufgefordert, mit nach Chelan zu fahren. Er wusste nicht, was

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