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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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er Angelene auf der Straße traf – mit einer Hutschachtel, die sie etwas linkisch unter dem Arm hielt – und sie gemeinsam zum Wagen gingen, erzählte er ihr von dem Zug. Zuerst wirkte sie alarmiert, doch dann entspannte sich ihr Gesicht und nahm einen entschlossenen Ausdruck an.
    Wir fahren mit dem Wagen, sagte sie. War das eine Frage, dachte er, oder eine Feststellung?
    Er überlegte. Mit ihr zusammen könnte er es schaffen. Wenn sie bei ihm war, würde er es aushalten; er hatte noch nicht einmal Angst vor der enormen Erschöpfung, die ihm letztes Mal bis in die Knochen gedrungen war.
    Ich kann fahren, sagte sie. Ich kann den ganzen Weg fahren.
    Nein, sagte er und räusperte sich. Wir wechseln uns ab. Er hielt inne. Nachts wird es kalt werden, wir brauchen …
    Ich habe alle Reisedecken gewaschen.
    Richtig. Das hatte sie. Nach einer kurzen Pause sagte er: Und du kannst deinen Hut tragen.
    Sie zog einen Mundwinkel leicht nach oben, sagte aber nichts.
    Auch ihr Gang hatte sich verändert, wie ihm jetzt auffiel. Sie hielt den Kopf sehr aufrecht, beinahe hochmütig. Stolz.

    Drei Tage später trafen sie am späten Vormittag in Chelan ein. Sie ließen das Maultier in den Stallungen und gingen zu Fuß zur Pension. Die Wirtin war nicht da, aber ein junger Mann – freundlich, mit einem Schopf dichter brauner Haare, die er aus der Stirn zurückgekämmt hatte – stand an der Rezeption.
    Er stellte sich als der Sohn der Wirtin vor.
    Wir haben schon damit gerechnet, dass Sie heute ankommen würden, sagte er und zeigte ihnen ihre Zimmer im ersten Stock.
    Getrennt wuschen sie sich und zogen sich um. Dann klopfte Talmadge bei Angelene an die Tür. Sie öffnete.
    Zuerst sagte er nichts. Sie trug ein blass-himmelblaues Seidenkleid mit einer dunkelgrünen Schärpe um die Taille. Und dort auf dem Bett, in einer aufgeklappten Hutschachtel, eben aus dem Seidenpapier gewickelt – sie nahm es gerade hoch –, war der Hut. Er war weiß und riesengroß, ein Ungeheuer. Über und über mit Schnipseln aus blauem und grünem Band verziert. Sie setzte ihn vorsichtig auf. Er sah aus wie eine Torte, dachte Talmadge. Ebenso vorsichtig, die Augen vor lauter Konzentration weit geöffnet, band sie unter ihrem Kinn eine Schleife. Als sie fertig war, stand sie still und drehte sich dann leicht zu ihm hin.
    Sie wartete auf Komplimente.
    Oh, sagte er schließlich. Das ist ja vielleicht ein Hut. Ich glaube, so einen habe ich noch nie gesehen. Ist das der, den du in der Stadt gekauft hast?
    Sie nickte.
    Also … er ist famos. Ein famoser Hut.
    Sie gingen die Treppe hinunter und an den verblüfften Blicken des jungen Mannes vorbei, dessen Arm auf halbem Weg zum Gruß erstarrte.
    Die Luft draußen war unglaublich frisch. Kühl. Harzig. Sie nahm seinen Arm.
    Was ist das?, fragte sie kurz darauf, und er wusste, dass sie den sauberen, feuchten, satten Duft der Luft meinte. Es riecht wie …
    Das ist der See, sagte er. Wir gehen später noch hin. Dann fügte er hinzu, weil es ihm gerade bewusst geworden war: Wir waren hier noch nie zusammen, nicht wahr?
    Sie schüttelte den Kopf.
    Talmadge, sagte sie nach einer Weile.
    Ja?
    Sie zögerte. Nichts. Schon gut.
    Dort war das Gerichtsgebäude, mit dem großen Rasen davor. Ein paar Männer saßen auf Bänken am Rand des Gehwegs und lasen Zeitung.
    Sie stiegen die Treppe hinauf. Als sie fast oben waren, wurde sie langsamer. Blieb stehen.
    Es ist gleich da drinnen, sagte er und versuchte, sie weiterzulotsen.
    Sie entzog ihm ihren Arm. Als er sie anschaute, sah er die Zaghaftigkeit in ihrem Gesicht. Die Angst.
    Talmadge, sagte sie erneut.
    Er blickte auf die Stufen, die sie schon hinter sich hatten, auf den Rasen.
    Schon gut, sagte er.
    Ich kann nicht.
    Er zögerte.
    Es tut mir leid …
    Ist schon gut.
    Sie senkte den Kopf, und bei aller Enttäuschung – das Mädchen würde nun doch nicht mit ihm zu Della kommen – sorgte er sich noch darum, dass der Hut das Mädchen aus dem Gleichgewicht bringen würde.
    Sie hob den Kopf. Begann, die Schleife unter ihrem Kinn zu lösen. Nahm den Hut ab. Ihr Kopf – ihr Schädel – sah jetzt unnatürlich klein aus.
    Du wartest hier draußen, sagte er. Ich brauche … nicht länger als eine Stunde. Er hielt inne. Bist du dir sicher?
    Sie zögerte, nickte dann.
    Er beobachtete, wie sie die Treppe wieder hinabstieg und den Rasen überquerte. Auf einen Baum in der Nähe zusteuerte.
     
    Angelene ging über das Gras. Sie war ein Feigling, dachte sie ruhig. Das musste

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