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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Bild machte sie in Angelenes Augen einzigartig bedauernswert. Damals, in den Wochen, nachdem Talmadge ihr die Wahrheit über Dellas Vergangenheit erzählt hatte, war Angelene so entsetzt gewesen, dass sie gar nichts fühlte. Sie war taub. War sie wütend auf Della? Nein; aber wütend über das Schweigen, das Della umgab; über den Mangel an Informationen, der sich stets mit ihr verband. Wütend vor allem über den Grund, warum so viel Schweigen herrschte: weil das, was man ihr – und Angelenes Mutter – angetan hatte, zu schrecklich war, um es auszusprechen. Sie hatten gelitten, und Angelene wusste nicht, was sie dagegen tun sollte.
    Doch dann kam jener Tag am Strand, als Angelene, schon halb verzweifelt, jemanden ihren Namen hatte rufen hören, sich umdrehte und sah, dass es Della war. In diesem Moment hatte sie kein Mitleid mit ihr empfunden, obwohl Della in einem äußerst bemitleidenswerten Zustand war: Angeschossen, in ein Verbrechen hineingezogen, mit dem sie nichts zu tun haben wollte, musste sie sich gegen eine Horde junger Männer zur Wehr setzen, die sie gewaltsam die Stufen zur Aussichtsplattform hinaufbeförderten. Doch dann begegnete Angelene ihrem Blick, einem erwachsenen, bohrenden Blick, in dem echte Zärtlichkeit lag, echte Intelligenz – und empfand Ehrfurcht vor ihr. War plötzlich gefesselt. Dies war der Mensch, der sie hochgehoben hatte, um ihr die Pferde auf dem Feld zu zeigen; der sie freudig in die Luft geworfen und wieder aufgefangen hatte. Der stärkste Mensch der Welt.
    Und nun saß dieser Mensch direkt vor ihr.
    Was ist mit …, begann Angelene und unterbrach sich.
    Was?
    Nichts.
    Frag schon.
    Angelene holte tief Luft. Ich wollte fragen: Was ist mit Michaelson passiert? Weißt du das?
    Della kratzte sich am Hals.
    Er ist gestorben.
    Oh, sagte Angelene.
    Wusstest du das nicht? Stand das nicht in der Zeitung?
    Angelene schüttelte den Kopf. Erzählte Della nicht, dass sie keine Zeitungen mehr las.
    Doch Della wirkte ungerührt, unbeeindruckt von der Erwähnung seines Todes. Sie verschränkte die Hände im Schoß.
    Du hast ihn doch gehasst, sagte Angelene leise. Darüber könntest du dich doch immerhin freuen: dass er tot ist.
    Della zuckte die Schultern. Starrte wieder in eine Ecke des Raums.
    Ich dachte, ich würde mich freuen. Oder traurig sein. Sie zuckte erneut die Schultern. Klingt vielleicht komisch. Ich weiß nicht. Ich dachte, ich würde irgendetwas empfinden. Sie hielt inne. Aber ich fühle nichts.

    Della dachte oft, sie sähe Angelene auf dem Gefängnisgelände, aber es war immer jemand anders. Die Vernunft sagte ihr, dass das Mädchen unmöglich hier eingesperrt sein konnte, doch in den Momenten, wenn sie sie zu sehen meinte, glaubte sie es von ganzem Herzen. Vernunft hatte nichts damit zu tun.
    Die anderen Gefangenen waren nicht unfreundlich zu ihr, und mit einigen Frauen hätte sie sogar Freundschaft schließen können, doch sie hielt sich abseits. Dünn, wie sie sowieso schon war, verlor sie noch mehr Gewicht; sie sah sich selbst im Spiegel und erkannte ihr Gesicht kaum wieder. Sie bekam eine so schlimme Flechte auf der Kopfhaut, dass der Gefängnisfriseur ihr die Haare abschneiden musste, damit sie richtig behandelt werden konnte. Mehr denn je sah sie wie ein Junge aus, aber das war ihr egal.
    Sie arbeitete in der Wäscherei, wo sie die Nachmittage damit zubrachte, Bettwäsche und Gefängnisuniformen zu waschen. Während andere sich vor dem Dreck und den Flecken ekelten, war sie gegen all das immun. Solche Dinge ekelten sie nicht.
    Die Tage vergingen ohne nennenswerte Unterschiede. Sie mochte ihre Arbeit in der Wäscherei, es war die leichteste, die sie je getan hatte. Und dann machte sie sich klar, dass es gar keine normale Arbeit war.
    Irgendwann im Sommer – sie war schon fast zwei Jahre im Gefängnis – kam ein Wärter zu ihrer Zelle und sagte, sie habe Besuch. Sie fragte gar nicht erst, wer es sei, ging einfach davon aus, dass es Caroline Middey war, die sie alle paar Monate besuchte. Sie stand vom Bett auf und wartete, bis der Wärter die Tür aufgeschlossen hatte, folgte ihm den Gang hinunter bis in den Raum mit der Trennwand. Einen Augenblick später sah sie ihren Besucher aufstehen: das Mädchen.
    Sie wollte sie ansprechen, schaffte es aber nicht. Ihr war, als hätte ihr jemand eine Faust in den Magen gerammt. Sie schleppte sich zu dem Stuhl vor der Trennwand und setzte sich hin. Das Mädchen setzte sich ebenfalls, und kurz darauf fing Della an zu weinen.

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