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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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bleiben müsse, um mit der Arbeit fertig zu werden. Doch Angelene wusste, dass er sich in Wahrheit körperlich nicht in der Lage fühlte, bis nach Wenatchee zu fahren, ja, dass er, so wie er in dieser Woche gearbeitet hatte, am Ende seiner Kräfte war. Sie dachte, er würde sie bitten, einen Brief an den Großhändler zu schreiben und ihn am kommenden Tag in der Stadt abzugeben, und das hätte sie natürlich getan, doch dann fragte er sie, ob sie an seiner Stelle nach Wenatchee fahren und mit dem Händler sprechen könne. Sie würden in Zukunft keine Geschäfte mehr mit ihm machen, und das müssten sie ihm persönlich mitteilen, nicht in einem Brief.
    Und so ritt Angelene am nächsten Tag auf dem gesprenkelten Pferd, das für Della gedacht gewesen war, nach Wenatchee. Die Büroräume des Großhändlers befanden sich in einem riesengroßen Lagerhaus unten am Fluss. Sie ging durch das Tor in das weite, offene Erdgeschoss, wo es nach der Erntezeit von Arbeitern wimmeln würde, die Äpfel in Kisten verpackten. Der Vorarbeiter selbst war jünger, als sie erwartet hatte. Er schien überrascht, sie zu sehen. Als sie in seinem Büro saß, teilte sie ihm mit, weshalb sie gekommen sei, und er nickte nur. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr gar nicht richtig zuhörte. Sie stand auf, um zu gehen. Er warf ihr einen erstaunten Blick zuhörte. Wie alt sind Sie?, fragte er. Aus irgendeinem Grund log sie: Siebzehn. Wieder nickte er. Wir brauchen noch Leute für die späten Äpfel, die nächste Woche reinkommen. Verstehen Sie was vom Verpacken? Ja, sagte Angelene. Und dann: Nein. Aber ich lerne schnell. Er nickte erneut und forderte sie auf, am Dienstag der folgenden Woche zum Arbeiten wiederzukommen.
    Sie berichtete Talmadge, dass der Großhändler ihr Arbeit angeboten und dass sie eingewilligt habe. Er sagte zuerst nichts dazu, doch später am Abend erschien er in der Tür ihres Schlafzimmers und fragte, ob sie alles habe, was sie für diese Arbeit brauche. Hast du die richtige Kleidung, brauchst du Geld für irgendetwas? Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, weil hinter ihm, im anderen Zimmer, die Laterne leuchtete. Sie sagte, sie habe alles. Es ist harte Arbeit, sagte er, und Angelene antwortete, davon gehe sie aus.

    Eine rundliche Frau namens LaVerne brachte Angelene bei, wie man die Äpfel verpackte. LaVerne hatte hellblaue Augen und band ihr Haar mit einem Taschentuch zurück, das sie bestimmt jeden Abend stärkte. Sie beobachtete Angelene bei der Arbeit, sagte ihr rundheraus, was sie falsch machte, und zeigte ihr dann noch einmal, wie es richtig war. Die anderen, fast ausschließlich Frauen, blickten immer wieder aus den Augenwinkeln zu dem seltsamen Paar herüber. Manche kicherten oder grinsten. LaVerne sagte ihr, sie solle sie nicht weiter beachten, sondern sich auf die Arbeit konzentrieren. Alle diese Frauen haben so angefangen wie du, sagte sie. Und später: Das ist doch nicht so schwer, Kind! Reiß dich zusammen!
    Nach zwei Wochen waren die Äpfel verpackt. Angelene stellte sich nicht besonders geschickt dabei an, aber sie glaubte, mit mehr Übung würde es besser gehen. Trotz der demütigenden Erfahrung, unter so vielen Augen herumzustümpern, war es ein gutes Gefühl, Geld in der Tasche zu haben, das sie selbst verdient hatte.
    Irgendwie erleichterte die Arbeit im Lagerhaus ihr die Rückkehr in die Schule. Sie hatte ein Jahr ausgesetzt, um auf der Plantage zu arbeiten, hinkte also ein Jahr hinter ihren Klassenkameraden her. Aber Angelene wusste, dass sie immer wieder im Lagerhaus arbeiten könnte, falls sie es aus irgendeinem Grund in der Schule nicht aushielt. Sie würde sich zu helfen wissen. Unter ihren Mitschülern gab es Geflüster, erstaunte Blicke in ihre Richtung, Gelächter. Und natürlich das vertraute Mitleid. Später war sie überzeugt, dass es auch welche gegeben haben musste, die nett zu ihr waren, doch sie erinnerte sich nicht an sie.
     
    Talmadge sprach in jenem ersten Jahr nicht von Della, und Angelene auch nicht. Sie hatte von Caroline Middey erfahren, dass es Talmadge verboten war, Della oder Clee im Gefängnis zu besuchen. Noch nicht einmal Briefe durfte er ihnen schreiben. Es war Teil seiner Strafe – ihrer aller Strafe.
     
    Eines Morgens, fast ein Jahr, nachdem Talmadge auf die Plantage zurückgekehrt war, bat er Angelene, ihm eine Aprikose zu bringen. Er saß auf der Veranda, mit einer Häkeldecke über den Beinen. Angelene hatte gerade sein Frühstücksgeschirr abgeräumt und brachte ihm

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