Im Licht von Apfelbäumen | Roman
Wasser hinzuzufügen und es zu kochen, Talmadge, sagte sie dann, und er nickte. Während der Zeit der schweren Arbeiten auf der Plantage blieb sie da, manchmal einen ganzen Monat lang. In seiner Trauer mochte er zuweilen vergessen, mit der Arbeit anzufangen; doch wenn er einmal anfing, war er kaum wieder zum Aufhören zu bewegen.
Irgendwann kam er unter dieser Trauer, unter ihrer erdrückenden Last, wieder hervor. Das Leiden hatte ihn geformt, ihn schweigsam gemacht und vorsichtig, bedachtsam: tiefgründig. Großherzig, freundlich und rücksichtsvoll, obwohl er das auch vorher schon gewesen war. Mit jeder bedachtsamen Geste zielte er weit zurück und hoffte, seine Schwester zu erreichen, sie irgendwo aufzuspüren.
Caroline Middey wusste nicht, wohin das Mädchen – Elsbeth – gegangen war. Aber anders als Talmadge hatte sie geahnt, dass sie fortgehen würde. Schon etwa ein Jahr vor ihrem Verschwinden war ihr der Aufbruch anzusehen gewesen. An einer Art Wachsamkeit. Einer gewissen Rastlosigkeit bei einem Geschöpf, das ansonsten so unnachahmlich geduldig war. Es wunderte sie nicht, dass Talmadge das nicht bemerkt hatte. Die beiden waren einander verblüffend ähnlich, in dieser Hinsicht aber völlig verschieden: Talmadge würde bis zu seinem Tod auf der Plantage bleiben, während es Elsbeth, aus welchen Gründen auch immer, woanders hinzog. Wer wusste, warum das Mädchen auf so dramatische Art gegangen war? Das war es, was Caroline Middey am meisten verstörte. Sie hielt das Mädchen solcher Grausamkeit gegenüber Talmadge nicht für fähig und glaubte deshalb, widerstrebend, dass sie, Elsbeth, nicht selbst dafür verantwortlich war. Oh, Caroline Middey stellte sich nicht gern vor, was ihr zugestoßen sein mochte. Wie sie aufgebrochen war, nur um irgendetwas Unvorhergesehenem in die Falle zu gehen. Denn was sollte sonst passiert sein? Das Einzige, was – vielleicht – noch schlimmer war, als mit Sicherheit zu wissen, dass man sie verschleppt hatte, war, es
nicht
zu wissen. Das war die traurige Wahrheit. Und Talmadge lebte mit dieser Ungewissheit, er hatte sich darin eingerichtet, und es gab keine Möglichkeit für ihn, jemals wieder zur Ruhe – wirklich zur Ruhe – zu kommen.
Und so war es nur natürlich, dass Dellas Fortgehen ihn aufstörte, jene Dämonen in ihm, die er, am Anfang gewissenhaft und mit großer Kraft, über die Jahre dann kontinuierlich niedergestreckt hatte. Und nun saß er wieder so da – unkonzentriert, angespannt, ängstlich. Caroline Middey versuchte letztlich nur, ihn zu trösten, indem sie ihn unsanft an ihre – seine und Dellas – Beziehung erinnerte.
Du hast dich eine Weile um sie gekümmert, sagte sie. Mehr kannst du nicht tun, Talmadge. Sie wollte fort; also gib ihr deinen Segen dazu. Vergiss sie jetzt. Wenn sie zu Besuch kommt, gut. Sie ist ein Gast. Aber sie möchte nicht hier leben, sie gehört nicht hierher …
Und da sie wusste, dass er an Dellas statt etwas brauchte, worauf er seine Aufmerksamkeit richten konnte, fügte sie hinzu: Denk an Angelene, denk an das Kind …
Die Erwähnung des Kindes führte jedes Mal eine Veränderung in ihm herbei. Sie zeigte sich in seinem Blick, der scharf wurde: Die Erwähnung des Kindes brachte die Gegenwart zurück.
Und das war der Sinn von Kindern, dachte Caroline Middey: uns an die Erde und an die Gegenwart zu binden, uns vom Tod abzulenken. Eine Ablenkung, die als ein Segen verkleidet kam – aber so gut verkleidet und so echt, dass sie zu einem wahren Segen wurde. Oder vielleicht war es auch andersherum: zuerst Segen, dann Ablenkung. Caroline Middey prüfte diese Frage genau, wusste nicht, ob die Unterscheidung wichtig war. (Alle Unterscheidungen sind wichtig.) Doch dann dachte sie nicht weiter darüber nach, denn hinter ihr wachte plötzlich die Kleine auf, und sie ging sofort zu ihr.
Wenn Della zwischen ihren Übungsgängen eine Pause in der Hütte machte und Angelene gerade in Reichweite war, nahm sie sie auf den Arm und warf sie mit einem seltsamen, übermütigen Lachen hoch über ihren Kopf. Angelene war zuerst verdutzt, ja verdattert – doch im nächsten Moment quiekte sie vor Vergnügen, vom schnellen In-die-Luft-Fliegen überwältigt, und ihr schiefes Lachen entblößte die Rechtecke ihrer neuen Zähne. Hoch und runter ging es, sodass ihr weiches, federiges Haar abwechselnd schwebte und flachgedrückt wurde; und zwischen den Flügen drückte Della sie an sich, voll Freude und einer besonderen
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