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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Mädchen sehen. Sie antwortete nicht gleich, sondern starrte an ihm vorbei, über seine Schulter hinweg. Verärgert wirkte sie nicht, aber er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht recht deuten. Nein danke, sagte sie schließlich. Ich bleibe hier. Und dann, als wäre es ihr nachträglich noch eingefallen, und so leise, dass er sich fragte, ob er es sich eingebildet hätte: Wo ich hingehöre …
    Wie meinst du das?, fragte er, doch sie schwieg. Bald wurde es ihm unbehaglich, so ohne eine Antwort dazustehen, während die Männer um ihn herum so taten, als bemerkten sie ihn nicht, und miteinander redeten, damit er dachte, sie hörten nicht hin. Schließlich ging er zur Hütte zurück.
    Danach verbrachte sie mehr Zeit mit den Männern, wenn sie auf der Plantage war, machte keinerlei Anstalten, ihre Zeit zwischen ihnen und Angelene und ihm aufzuteilen; ja, sie kam überhaupt nicht mehr zur Hütte hinauf. Was redete sie sich wohl selber ein?, fragte er sich. Was für eine Geschichte hatte sie sich ausgedacht? Es war sein Fehler, dachte er, einer seiner vielen Fehler, dass er in diesen Tagen nicht strenger mit ihr war, nicht darauf bestand zu erfahren, was sie dachte, keine Erklärung von ihr verlangte. Dass er nicht zu ihr sagte: Das ist doch lächerlich, dies ist dein Zuhause, vor allem aber: Dies ist deine Nichte, ja, praktisch deine Tochter, du bist praktisch ihre Mutter, und es wäre besser, wenn du sie mit in die Berge nehmen würdest, anstatt sie hier zu lassen, bis ihr euch fremd werdet. Das ist nicht gut, hätte er sagen sollen; er hätte Angelene hergeben sollen, auch wenn Della sie dann zerstören konnte, anstatt das Kind für sich zu behalten und zuzusehen, wie Della sich selbst zerstörte und damit zugleich sie alle.
    Oh, aber er wäre gar nicht imstande gewesen, Angelene herzugeben, selbst wenn Della sie hätte haben wollen. Er hätte auch dann nicht anders gehandelt, sondern Angelene bei sich behalten, so wie jetzt. Doch er hätte darauf bestehen sollen, dass auch Della blieb. Sie war nicht völlig gefühllos, mehr noch: Sie war nicht schlecht. Davon war er überzeugt. Die Veränderung in ihr – ihre Distanz, ihre Härte – war nicht über Nacht eingetreten, sondern allmählich passiert; deshalb hatte auch er seinen Anteil daran. An dem Tag, als sie nicht zu Angelenes sechstem Geburtstag kam, und danach, als es schien, als wäre sie tatsächlich für immer fortgegangen, dachte er mit leisem Erstaunen: Es ist geschehen. Es ist geschehen. Aber war er wirklich überrascht? Hatte er nicht darauf gewartet? Trotzdem erschütterte es ihn, dass sie es wahr gemacht, sich allein auf den Weg gemacht hatte.
    War es das, was er gewollt hatte? Dass sie irgendwann fortging?
    Manchmal tat sie ihm entsetzlich leid; dann wieder war er, wenn er sie so beobachtete, von ihrem schrankenlosen Glück auf dem Rücken der Pferde gerührt. Er empfand Ehrfurcht, aber auch Sorge angesichts ihrer Bereitschaft, in die Berge zu ziehen, um all diese gefährlichen Dinge zu tun, ohne Rücksicht darauf, dass sie sterben konnte, ohne Rücksicht auf Angelene.
    Doch es gab auch noch eine andere Angst, wenn er Della zu dem Kind gehen und es auf den Arm nehmen sah. Als sie an jenem Tag nah bei dem Pferd gestanden hatten, ganz still, und Della mit dem Kind sprach, dachte er: Gut, schau sie dir an, das ist gut; aber er dachte auch: Warum setzt sie sie nicht ab? Warum setzt sie sie nicht einfach wieder ab?
    Er wollte nicht, dass Angelene angesteckt wurde, dachte er jetzt. Als wäre Della, oder der Schmerz, den sie mit sich herumtrug, eine Krankheit.

    Zuerst begriff er trotz ihrer langen Abwesenheit nicht, dass sie für immer fort war. Und dann eines Tages – er lief gerade mit der Astschere in der Hand an einer Baumreihe entlang und wandte sich einem kargen Fleck Erde zu – wusste er es. Selbst wenn sie zurückkäme, wäre die Situation zwischen ihnen anders, denn Della wäre eine eigenständige Persönlichkeit, so wie sie es für ihn vorher nie ganz gewesen war. Bisher war sie bei ihren Aufenthalten zwischendurch immer noch ein Teil der Plantage, ein Teil seines und Angelenes Lebens gewesen, und er hatte immer noch versucht, sie vor Unheil zu bewahren, denn das hielt er für seine Pflicht. Doch nun nicht mehr. Wenn sie jetzt zurückkäme, würde sie ihn über die Distanz ihrer zertrennten Verbindung hinweg anschauen. Und wie war sie zertrennt worden? Durch ihr Verhalten, aber auch durch etwas von ihr Unabhängiges, das er nicht definieren

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