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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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Zufriedenheit. Doch dann – ein Wimpernschlag reichte, und man hatte es verpasst – stahl sich ein gleichgültiger Ausdruck in ihr Gesicht. Wo fing das an? Bei den Wangen, dem Mund, den Augen? Wenn es die Augen erreicht hatte, war alles vorbei. Della küsste das Kind geistesabwesend am Hals, bevor sie es auf dem Boden abstellte. Angelene protestierte, wand sich in Dellas Armen, bevor sie losgelassen wurde, lachte dann aber, weil sie glaubte, gleich wieder hochgenommen und in die Luft geworfen zu werden, und wenn Della sich aufrichtete, streckte Angelene reflexartig die Arme nach ihr aus, doch Della schenkte ihr keine Beachtung mehr. Es war, als hätte sie die eben erlebte Ausgelassenheit vollkommen vergessen; sie drehte sich um und verschwand im fernen Gras, gefangen von irgendetwas, das in ihrem Kopf vorging, von dem, was als Nächstes kam.
    Nach dem Ausflug in die Sawtooths – Della war zwei Monate lang fort gewesen – schrie Angelene vor Angst, als Della sie vom Boden hochnahm, und strampelte in ihren Armen, und Della ließ sie verlegen wieder herunter.
    Talmadge sagte verwirrt: Sie hat dich lange nicht gesehen.
    Angelene klammerte sich an sein Bein, hielt sich die Faust vor den Mund und sah Della mit großen, glasigen Augen an.
    Mann, sie tut ja so, als wollte ich sie umbringen oder so was, sagte Della und lachte, ging erneut in die Hocke, breitete die Arme aus und lächelte aufmunternd, nervös; doch Angelene drückte das Gesicht in Talmadges Hosenbein und rührte sich nicht von der Stelle.
    Gib ihr ein paar Tage, sagte Talmadge. Sie muss sich erst wieder an dich gewöhnen.
    Und nicht nur Angelene musste sich an sie gewöhnen. Auch Talmadge war beeindruckt von diesem Geschöpf vor ihm, und verstört. Es war die alte Della, aber eindeutig verändert. Härter, dunkelbraun gebrannt, kraftvoll-muskulös. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte sie für eine indianische Kindfrau gehalten, die mit den Männern ritt. Sie war zugleich sicherer geworden und ruhiger, tiefgründiger. Es war, als hätten ihr die langen Strecken, die sie zurückgelegt hatte, etwas von ihrer kindlichen Impulsivität, ihrer Leichtfertigkeit genommen. Sie wiederum beobachtete Talmadge bei den Mahlzeiten und hielt seinem Blick länger stand, bevor sie entschlossen wegschaute. Schon in diesem Alter war sie Meisterin darin, ihre Gefühle und Gedanken für sich zu behalten, und unterschwellig begriff er, dass seine Chance, sie kennenzulernen – hatte er sie gekannt? –, verstrichen war. Von nun an würde niemand sie mehr kennenlernen, wenn sie es nicht selber wollte. Und der Wille, den er in ihr spürte, war unvergleichlich.
     
    Als Talmadge später in der Woche – die Männer waren noch auf der Plantage – zum Setzlingsschuppen ging, um eine Astschere zu holen, traf er dort auf Della, die an der Traufe lehnte und rauchte. Sie richtete sich auf, als sie ihn sah, und drückte die Zigarette aus. Als hätte er sie bei etwas erwischt, dachte er. Er blickte über die Schulter, um zu sehen, wohin sie geschaut hatte. Angelene saß im Gras vor dem Aprikosengarten und plapperte auf zwei Stöckchen in ihren Händen ein. So wie sie dasaß, konnte man es nicht sehen, aber um ihre Taille war ein Stoffband geknotet. Das machte er manchmal, er band sie an einen Baum, damit er sie im Auge behalten konnte, ohne fürchten zu müssen, dass sie weglief. Er wollte es Della erklären, die das Band bestimmt gesehen hatte, da sagte sie:
    Als ich weggegangen bin, war sie so anders. Sie war noch ein Baby.
    Er hörte die Traurigkeit, das ehrfürchtige Staunen, in ihrer Stimme. Er blickte zu dem Kind im Gras.
    Sie ist immer noch ein Baby, sagte er.
    Ich weiß, aber – sie ist anders.
    Darauf konnte er nichts erwidern; es stimmte, sie war anders. Manchmal, wenn er sie morgens aus ihrer Kiste hob, der sie jetzt rasch entwuchs, schien ihm, als wäre sie über Nacht größer geworden; ihre Haare waren anders, ihre Augen; die Farbe und Beschaffenheit ihres Fleisches, ihre Gliedmaßen; und das Befremdlichste und Schönste von allem: Sie fing an zu sprechen. Immer öfter antwortete sie ihm auf sein Gemurmel, und er begriff, dass sich jetzt entpuppte, was schon in ihr angelegt gewesen war, als er sie zum ersten Mal draußen auf der Welt im Arm gehalten hatte: ihre eigene Persönlichkeit, sie selbst, ein unabhängiges, einzigartiges Wesen. Er stand staunend davor. Was würde aus ihr werden? Was steckte in ihr, schon vorgeformt, das sich mit der Zeit entfalten

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