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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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weniger als einer Minute kam er mit aschfahlem Gesicht wieder heraus.
    Sie ist es nicht, sagte er.

    Nach dem Holzfällerlager mied Della Ortschaften und lebte im Wald. Eine ganze Weile war sie nicht krank, sondern bei vollem Verstand. Als sie sich schließlich doch in eine Stadt wagte, um Vorräte zu kaufen, sah niemand sie zweimal an – oder wenn, dann aus anderen Gründen –, und niemand verfolgte sie. Irgendwann ging ihr das Geld aus, doch das war nicht weiter schlimm; was sie brauchte, fand sie im Wald.
    Schwierigkeiten nahten in Gestalt des Winters. Doch noch immer suchte sie nicht den Schutz einer Stadt. Der Wald würde sie aufnehmen, dachte sie, er würde sie beschützen, bis die Zukunft sich zeigte.

    Clee wusste, bevor er nach Coeur d’Alene kam, dass das fragliche Mädchen nicht Della war, denn er hatte sie – Della – einige Wochen zuvor gesehen, nördlich von Sultan Creek an den Westhängen des Kaskadengebirges. Er und ein kleiner Trupp Männer führten ein paar Pferde, die auf einer Winterauktion in Seattle nicht verkauft worden waren, durch die trostlose, so gut wie menschenleere Bergarbeiterstadt. Irgendwann blickte er über die schneebedeckte Straße zurück und sah hinter den Pferden eine Gestalt, die nicht weit von ihnen zwischen den Bäumen hervortrat. Er blinzelte, und sie war verschwunden. Irgendein Instinkt sagte ihm, sie sei es. Aber war sie es wirklich? Es hätte sonst jemand sein können. Zumal dieses Geschöpf keinen Hut und die Haare kurz trug. Hatte er sich die Blässe nur eingebildet? Die gebeugte Haltung?
    Nur Einbildung, dachte er. Irgendein Schuldgefühl, das ihn da heimsuchte – obwohl er sich keiner Schuld bewusst war.
    Er hatte die Männer trotzdem verlassen und war in den Wald geritten, um ihre Spur zu verfolgen. Er glaubte, er würde nichts finden.
    Doch da stand sie – und sie war es tatsächlich –, die Arme voller Feuerholz, das sie gerade auf den Boden fallen ließ. Er stieg vom Pferd und ging, das Tier am Zügel führend, ein paar Schritte auf sie zu.
    Es war, als wäre er unsichtbar; nach einem ersten Blick nahm sie keine weitere Notiz von ihm. Sie ging in die Hocke und begann, ein Feuer vorzubereiten. Als es ihr nicht gelang, den Zunder in Brand zu setzen, hielt er ihr ein Streichholzheftchen aus seiner Westentasche hin. Sie nahm es wortlos entgegen.
    Ihre Haare waren struppig, wie mit einer stumpfen Schere geschnitten, und an Gesicht und Hals hatte sie einige wunde Stellen und Krusten. Ihre Augen blickten ausdruckslos. Irgendeine Krankheit hatte sie in den Fängen, dachte er.
    Es war Anfang November und kalt. Der erste Schnee, in der Woche zuvor gefallen, lag knöcheltief.
    Sie trug Stiefel mit um die Sohlen gewickelten Stoffstreifen.
    Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. Sie ließ es geschehen, zog die Jacke fester um sich und kauerte sich dichter ans Feuer. Er stand ein Stück abseits und beobachtete sie. Die Sonne ging langsam unter. Er erwog, das Mädchen am Arm zu packen – oder sogar hochzunehmen, blitzschnell –, und sie zu seinem Lager zu tragen. Doch er wusste – natürlich –, dass er sie nicht anfassen durfte.
    Aber allein lassen konnte er sie auch nicht. Er blieb, bis es dunkel wurde.
    Sie schlief, und er kehrte zur Stadt zurück, um etwas zu essen zu besorgen. In einem Wirtshaus kaufte er warme Sandwiches und ging damit zum Wald zurück. Von dem Geruch wach geworden, richtete sie sich auf, um zu essen, und schlief danach sofort wieder ein.
    Er ging zu seinem Pferd, schnallte eine Decke ab und legte sie über das Mädchen. Hüllte sich selbst in eine Satteldecke und setzte sich an einen Baumstamm gelehnt auf den Boden.
    Er schlief.
    Am Morgen war sie fort. Sie hatte Erde über das Feuer gescharrt. Seine Jacke lag unordentlich neben seinen Füßen.
     
    Als er die Gerüchte über das Mädchen in Idaho hörte, dachte er: Das könnte sie sein. Sie hatte schwachsinnig gewirkt, als er sie im Wald gesehen hatte, doch er wollte gern glauben, dass sie trotzdem Arbeit gefunden, dass sie wieder mit Pferden zu tun hatte. Dann sah er das Mädchen im Krankenhausbett – ein großes, strammes, rothaariges Mädchen – und war nicht überrascht.
     
    Er erzählte Talmadge nichts von seiner Begegnung mit Della im Wald.
    Salz in die Wunde, dachte er.

    Della zog gen Osten, über die Berge.
    In ihrer wachsenden Desorientiertheit war ihr nicht klar, dass sie sich damit auf ihre Vergangenheit zubewegte. Dass sie unbewusst dorthin

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