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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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sterben …
    Sie lehnte sich ans Fenster und blickte hinaus auf die vorbeirauschende Landschaft. Heuwiesen und sonderbare Wälder.
    Sie schlief wieder ein.

    Eines Abends im Holzfällerlager – gegen Ende des Winters, als Della schon fast ein Jahr dort war –, holte einer der Männer eine Flasche heraus, und was er herumreichte, war kein gewöhnlicher Schnaps, sondern mexikanischer Whisky. Della nahm einen Schluck, obwohl es ihr nicht schmeckte, nie geschmeckt hatte. Sie begriff aber, dass es guter Whisky war, und begann, ihren nächsten Schritt zu planen. Die Flasche ging herum, und sie nahm noch einen Schluck. Und noch einen. Eine wunderbare Wärme durchströmte sie, und die Zeichen auf den Karten nahmen eine zusätzliche Bedeutung an. Ein weiterer Schluck genügte, um sie zu verwirren, und sie verlor die Runde und den Pott, der ihr so gut wie sicher gewesen war. Der Mann, der gewann, lachte, als er seine Gewinne einstrich.
    Von da an wurde das Trinken für sie zu einer Möglichkeit, die Langeweile zu lindern, die in ihr Wurzeln geschlagen hatte – die Männer langweilten sie, das Kappen von Baumkronen langweilte sie, das Kartenspielen langweilte sie –, gepaart mit dem Unwillen, etwas dagegen zu unternehmen. Ihre alte Rastlosigkeit kehrte zurück. Sie trank, um den Reiz des Kartenspiels zu erhöhen; um berauscht, aber äußerlich nicht beeinträchtigt zu sein. Es war letztlich eine weitere Ablenkung.
    Nach diesen durchzechten Nächten schlief Della schlecht und fühlte sich am Morgen oft krank. Eiswasser und heißer schwarzer Kaffee schienen Abhilfe zu schaffen, zumindest bis die erste Schicht vorbei war; dann stolperte sie in ihr Zelt im Wald und schlief den ganzen Nachmittag.

    Angelene und Talmadge wohnten in einer kleinen Pension am Strand. Zwischen ihren beiden Betten stand ein Mahagoni-Nachttisch, darauf eine kleine Vase mit einer staubigen künstlichen Iris. Nachts trappelten Mäuse hinter den Wänden und über die Dielen.
    Am Tag machten sie Spaziergänge am Strand entlang und durch den Wald. Der Wald bestand aus den höchsten Bäumen, die Angelene je gesehen hatte – rote Zedern; neben ihnen wirkte ein Mensch unbedeutend wie ein Staubkorn. Die Zedern, das hatte sie gelesen, lebten Tausende von Jahren.
    Abends aßen sie zusammen mit den anderen Gästen sowie der Wirtin und ihrem halbwüchsigen Sohn in der Pension, während die Katzen der Wirtin ihnen unter dem Tisch um die Beine strichen. Einmal gab es Krebsschmortopf. Die Wirtin servierte ihn in breiten Schüsseln, mit frischem, knusprigem französischen Brot. Daran, wie und in welcher Menge der Schmortopf serviert wurde, konnte man sehen, dass es für sie ein ganz gewöhnliches Gericht war. Doch deswegen schmeckte es nicht weniger köstlich. Angelene hatte noch nie etwas Vergleichbares gegessen. Sie erinnerte sich später daran, wie Talmadge vorsichtig, mit weit geöffneten Augen und entrücktem Blick, einen Löffel davon aß.
    Sie hatte viele Erinnerungen an Talmadge – wie sie zusammen auf der Plantage arbeiteten; wie sie auf dem Markt ihr Obst verkauften und sich mit Vorräten eindeckten und später bei Caroline Middey auf der Veranda zu Abend aßen; an die unzähligen Tage ihrer geteilten Einsamkeit, die langen Phasen des Schweigens, ihre Scherze, ihr einfaches, aber tiefgründiges Zusammenleben. Jene Reise nach Dungeness Bay unterschied sich davon, sie war von ganz anderer Art. Alles an dieser Reise war neu, und so sehr es Angelene anregte und begeisterte, so sehr erschöpfte es sie auch, was, wie ihr später klar wurde, an ihrer und offenbar auch Talmadges extremen Ungeschütztheit lag: Sie waren fern von zu Hause. Sein Gesicht sah anders aus, von den fremden Bäumen, dem fremden Himmel, dem Ozean gerahmt, der ein Mythos für sie gewesen war, bevor sie ihn gesehen hatte. Wenn sie nachts in dem Zimmer lagen, das nicht ihres war, dachte sie, dass sie das Unmögliche möglich gemacht hatten: Sie waren zusammen aufgebrochen und hatten ein Erlebnis nur für sie beide geschaffen. Es fühlte sich wie das unbefugte Betreten eines Grundstücks an. Wo waren sie? Sie waren außerhalb der Plantage. Es war ein Erlebnis, das sich nicht wiederholen ließ. Später hörte sie Menschen auf ähnliche Weise von ihren Flitterwochen erzählen.

    In dieser Zeit verdiente Della durch Arbeit und Glücksspiel alles in allem weniger Geld, doch da Geld ihr nicht so wichtig war, kümmerte sie das nicht weiter. Sie fing an, beim Kartenspielen offener zu reden. Die

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