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Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Im Licht von Apfelbäumen | Roman

Titel: Im Licht von Apfelbäumen | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Coplin
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anderen Männer bemerkten sie auch, störten sich aber nicht an ihrer Gegenwart. Sie ließen sie mitspielen. Der Mann, der sie dazu aufforderte, tat das nicht in der Hoffnung, sie sei eine schlechte Kartenspielerin, doch einer oder zwei von den anderen hofften das durchaus, und wie sich zeigte, hatten sie recht damit. Zumindest wollte Della sie das glauben machen. Sie kannte diese Kartenspiele und ihre Variationen seit der Zeit, als sie mit Clee und seinen Männern durch die Gegend gezogen war. Sie wusste, wann man mit vollem Einsatz spielte und wann absichtlich schlecht. Es galt, auf die Mitspieler achtzugeben und ihnen abzunehmen, was sie hatten, wenn nötig langsam (das hatte sie sich selber beigebracht); aber bluten sollten sie immer. Das war es schließlich, worauf es beim Kartenspielen – beim Glücksspiel – ankam.
    Geld war ihr gleichgültig; es ging ihr nicht ums Geld. Aber sie sah, dass die Männer jede Woche eine bestimmte Summe mitbrachten, und genoss die Manipulation, die nötig war, um ihnen dieses Geld abzuknöpfen, Woche für Woche, Abend für Abend, immer schön langsam, damit sie nicht wütend wurden oder sie rauswarfen. Wenn einem von ihnen aufzufallen begann, dass sie, obgleich sie Fehler machte und stümperte wie sie alle, unter dem Strich erfolgreicher war – wobei sie sich hütete, zu prahlen oder das Geld, wenn sie gewonnen hatte, lange auf dem Tisch liegen zu lassen –, wenn also einer der Männer das merkte, las sie es ihm vom Gesicht ab und zwang sich am folgenden Abend, nicht so gut abzuschneiden. Aber sie versäumte kein Spiel, aus Angst, sie würden über sie reden und gemeinsam ihre Schlüsse ziehen.
    Und so spielte sie und fing an, Geld zu scheffeln; sie hatte neben den Schecks, die sie noch nicht eingelöst hatte, auch Papiergeld und wusste nicht, was sie damit machen sollte. Letztlich rollte sie alles fest ein, steckte es in eine Kaffeedose und vergrub es in der Nähe ihres Schlafplatzes im Wald.
    Sie hätte noch lange so weitermachen können. Es war wie bei jedem Sport, man gab den anderen einen Vorsprung, holte wieder auf, ließ sie in dem Glauben, sie hätten die Dinge in der Hand – während sie in Wahrheit selbst alles kontrollierte und ihre in der Dunkelheit am Flussufer vergrabene Kaffeedose vor Bargeld barst.

    Zu Angelenes zwölftem Geburtstag, im Sommer, schenkte Talmadge ihr zwei Zugfahrkarten nach Dungeness Bay auf der Olympic-Halbinsel. Es gab eine neue Eisenbahnlinie von Olympia aus in Richtung Westen, und er hatte einen Sonderpreis bekommen.
    Sie brachen nach der Aprikosenernte auf, mit einem Koffer für sie beide. Angelene war ganz aufgeregt, als sie in den Zug stiegen. Die Luft im Waggon war kalt und roch nach neuem Leder und Holzpolitur. In das schrille Schnaufen der Heizzylinder wob sich das helle Lachen einer Frau, die Angelene nicht sehen konnte. Sie nahmen ihre Plätze ein. Als der Zug sich in Bewegung setzte, packte Angelene Talmadges Arm – er saß neben ihr – und sah aus dem Fenster. Als eine Frau vorbeikam und fragte, ob sie etwas zu essen haben wollten, bestellten sie Kaffee und Sandwichs, und Talmadge bezahlte bar aus seiner Brieftasche.
    Angelene würde sich für immer an den ratternden Zug und die Fahrt durch die Berge erinnern. Die dichten, dunklen Wälder, hier und da ein Wasserfall aus unvorstellbaren Höhen, ein Rudel Rehe, das sich vor einer Baumgrenze abzeichnete und wieder verblasste, die seltsamen, trüben Schatten, wenn der Zug auf allen Seiten von hohem, steilem Wald umgeben war, die völlige Finsternis und Kälte der Tunnel – sie fühlte sie klamm auf ihrem Gesicht. Auf dem Bahnhof in Olympia verstörten sie die Masse der Menschen und Geräusche und der jähe feuchte Luftzug, der ihr unter die Kleider fuhr. Jemand hustete, jemand lachte, ein Kind weinte. Talmadge legte ihr den Arm um die Schulter. Sie stiegen in den anderen Zug um, der kleiner war, kompakter, und setzten ihre Reise fort. Sie schlief ein; und als sie aufwachte, leuchtete der Waggon, in dem sie saßen, in einem goldenen Licht. Talmadge schlief. Seine Haut war rot, ihre eigene Hand – sie hielt sie sich vors Gesicht – dunkelbraun. Einen Moment lang schien jeder Gegenstand vollkommen von seiner jeweiligen Farbe durchtränkt zu sein, und sie wusste, dass sie eines Tages beide sterben würden. (Der Zug schaukelte sanft über die Schienen.) Vielleicht nicht bald, aber irgendwann. Er würde sterben, und sie würde ihn nie wiedersehen. Und auch sie würde

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