Im Mond des Raben
Verwandlungsfähigkeit noch andere Gaben.«
»Wie wir Wölfe auch.«
Sie rümpfte die Nase, als enttäuschte sie sein mangelndes Verständnis. »Ich kann den unmittelbar bevorstehenden Tod in einem Menschen spüren.«
»Wie meinst du das?«
»Du weißt, dass Raben es stets zu wissen scheinen, wenn der Tod in ihrem Territorium erscheint?«
»Aye. Das ist geradezu unheimlich.«
»Die Éan haben viel mit ihrer Vogel-Natur gemeinsam, weit mehr, als andere vielleicht akzeptieren würden.«
»Erklär mir das!«
»Wenn ich jemandem die Hände auflege, kann ich spüren, ob er sterben wird.« Sie sagte es scheinbar ohne jede Emotion, doch Earc war sich sicher, dass diese Gabe einen hohen Preis von jemandem erforderte, der so mitfühlend wie seine Gefährtin war.
»Es ist ein nützliches Talent für eine Heilerin.« Wenn auch nicht gerade ein angenehmes für ihr weiches Herz.
»Vielleicht. Durch diese Gabe wusste ich, dass meine Eltern nicht auf natürliche Weise gestorben waren.«
Earc verstand nicht ganz. »Weil du ihren bevorstehenden Tod nicht gespürt hast?«, versuchte er zu erraten.
»Ja. Ich spüre es nicht, wenn der Tod durch eine andere Person verursacht wird.«
»Mord.« Das Wort hinterließ einen üblen Nachgeschmack auf seiner Zunge.
»Oder wenn jemand bei einem Duell stirbt. Oder in der Schlacht.«
Das ergab schon eher einen Sinn. Wie die Raben, deren Natur sie teilte, spürte sie es, wenn die Natur ihre Bewohner aussortierte. »Dann wusstest du also nicht, ob Rowland bei dem Duell zu Tode kommen würde.«
»Ich wäre ohnehin nie nahe genug an ihn herangekommen, um ihn zu berühren.« In ihrer sanften Stimme klang der Abscheu mit, den die bloße Vorstellung schon in ihr weckte. »Und hätte ich es getan, hätte ich es nicht gespürt, da er durch deine Hand gestorben ist.«
»Wenn dein Vater wirklich von einem wilden Tier getötet worden wäre …«
»Hätte ich es gespürt, bevor er unser Haus verließ, und ihn gewarnt. Meine Chrechte-Gaben hatten sich gerade erst zu zeigen begonnen. Für lange Zeit dachte ich, dass es meine Schuld war, weil ich die Warnung meiner Raben-Instinkte irgendwie ignoriert hatte. Aber später wurde mir klar, dass die Warnung ausblieb, weil der Tod durch Menschenhand erfolgte.«
»Und was war mit deiner Mutter?«
»Sie wurde eindeutig ermordet.« Vericas Haltung, der grimmige Ausdruck ihrer blauen Augen, der Tonfall ihrer Stimme – all das verriet, dass sie sich ihrer Sache völlig sicher war.
Und mit dieser Sicherheit hatte sie seit jener Tragödie leben müssen, ohne etwas ausrichten zu können gegen die, die sie für die Schuldigen an dem Mord an ihren Eltern hielt. »Von diesem verdammten Bastard Rowland.«
Verica nickte. »Das glaubte ich immer, aber ich hatte keine Beweise.«
Und keine Möglichkeit, den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen, angesichts des Würgegriffs, in dem dieser Tyrann den Donegal-Clan und das Chrechte-Rudel gehabt hatte. »Jetzt hat er endlich für seine Schandtaten bezahlt.« Earc konnte nicht umhin zu wünschen, den Mann noch einmal töten zu können.
»Diesmal hatte er sich mit seinen Worten das falsche Opfer ausgesucht.«
»Er glaubte , er machte Circin zu seiner Zielscheibe.« Und der gewiefte Gestaltwandler hätte den weit weniger erfahrenen Jungen gnadenlos getötet, wenn er von Circin statt von Earc herausgefordert worden wäre.
»Er wollte, dass mein Bruder ihn zum Duell forderte, weil er nach einem Weg suchte, ihn loszuwerden.«
»Aye.« Es war kein besonders schlauer Schachzug gewesen, doch er hätte sich ausgezahlt, wenn Rowland damit durchgekommen wäre. Barr hätte das natürlich niemals zugelassen, aber Earc hatte seine eigenen Gründe gehabt, für Circin einzuspringen.
»Ich schulde dir so viel! Du hast meinen Bruder vor dem Tod bewahrt und meinen Clan gerettet.« Die Anerkennung in Vericas Stimme machte Earc glücklich.
Aber er war kein Mann, der sich einen Verdienst anrechnete, der ihm nicht ganz gebührte. »Barr hatte nicht die Absicht, Rowland am Leben zu lassen, nachdem er von seinem schweren Verbrechen gegen Sorcha erfahren hatte.«
Verica nickte und biss sich wieder auf die volle Unterlippe, bis sie sich rötete und Earc in Versuchung führte, sie zu kosten. »Er ist ein guter Mann, um meinen Bruder für seine Aufgabe als Clan-Führer auszubilden.«
»Ja, das ist er.« Aber Earcs Gedanken waren nicht bei den positiven Eigenschaften seines Lairds. Dazu war er viel zu sehr beschäftigt mit der Frage, wie sich
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