Im Mond des Raben
ritzte er mit seinem Messer einen seiner Finger auf und ließ in einer uralten Opfergabe, die die meisten Menschen unter ihnen nicht verstehen würden, einen Tropfen Blut ins Feuer fallen. »Rowland ist mitgegangen mit all jenen, die er in ein frühes Grab geschickt hat.«
»Aber seine Freunde leben noch unter den Donegals.« Sabrine musste ihm vor Augen führen, wie unmöglich eine gemeinsame Zukunft innerhalb dieses Clans sein würde. Ihn zu ihren eigenen Leuten mitzunehmen war ebenso unmöglich. Seines Wolfes wegen würde er nie von ihnen akzeptiert werden. »Gestaltwandler wie Verica verbergen noch immer ihre Rabennatur. Krieger wie dein Muin lernen nach wie vor, Raben abzuschießen, obwohl sie nicht einmal wissen, dass es die Éan gibt. Du bist ein Narr zu glauben, dass sich so viel verändert hat.«
Auch wenn sie wünschte, es wäre so.
»Ich bin kein Narr.«
Sabrine schüttelte nur den Kopf, weil sie nichts darauf erwidern konnte.
»Du bist meine Gefährtin«, knurrte er und senkte den Kopf.
»Ich bin eine Éan.«
»Und du bist mein.« Seine Lippen pressten sich zu einem Kuss auf ihre, der voller Zorn und Frustration war, während er das Wort mein in ihrem Kopf immer wieder wiederholte.
Sie antwortete mit ihrer eigenen Frustration darüber, den idealen Gefährten gefunden zu haben, nur um festzustellen, dass er ein Wolf war, und mit ihrem Zorn über die Ungerechtigkeit des Lebens, derentwegen die Éan ein Schattendasein im Wald fristen mussten, während ihre Chrechte-Brüder in ihrem eigenen viel bequemeren Versteck unter den Menschen lebten.
Für einen kurzen Moment machte Sabrine ihren aufrichtigsten Wünschen Luft, doch dann gab sie auch den düsteren Gefühlen Ausdruck, die das Wissen, dass diese Wünsche niemals Früchte tragen würden, in ihrem Herzen verursachten.
Und dann liebten sie sich vor dem Feuer, wo ihr geborgtes Plaid das Einzige war, was sie ein wenig vor dem harten Boden schützte. Doch das war ihr egal. Der Rest der Burg schlief, als sie und Barr in einem Ritual, das so alt wie die Zeit selbst war, voneinander Besitz ergriffen.
Am Tag darauf begann Sabrine, die Frauen in Selbstverteidigung zu unterrichten. Sie brachte sie zu einer Lichtung im Wald, die weit genug von der Burg entfernt war, dass die Frauen nicht befürchten mussten, von neugierigen Kindern oder belustigten Kriegern beobachtet zu werden. Selbst Verica, die wie eine rundum zufriedene junge Ehefrau aussah, schloss sich ihnen an.
Und sie brachte auch die Waffen ihrer Großmutter mit, um sie Sabrine für den Unterricht zu überlassen.
Liebevoll strich Sabrine mit der Hand über die glänzenden Klingen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Ihr müsst lernen, euch ohne Waffen zu verteidigen, mit Ausnahme des Dolches, den die meisten von euch ohnehin zum Essen oder zur Zubereitung der Speisen dabeihaben.«
»Aber diejenigen von uns, die lernen wollen, mit Schwert und Bogen umzugehen, könnt Ihr doch später darin unterrichten, nicht?«, fragte eine junge Chrechte.
»Falls ich dann noch hier bin.«
Die wissenden Blicke der anderen Frauen hellten Sabrines Stimmung nicht gerade auf, und so nahm sie sie hart ran, um ihnen Grundkenntnisse in Nahkampf-Techniken zu vermitteln, die sie selbst schon beherrscht hatte, bevor sie alt genug gewesen war, um ein eigenes Messer zu besitzen, ganz zu schweigen erst von einem Dolch.
In den nächsten Tagen verbrachte Sabrine jeden Nachmittag damit, eine Hand voll Frauen in der Kunst weiblicher Kriegsführung auszubilden. Sie wären allerdings sehr empört gewesen, wenn ihnen das bewusst gewesen wäre, da alle glaubten, bei dem Unterricht ginge es nur darum zu lernen, sich selbst und ihre Familien verteidigen zu können.
Die Tatsache, dass so viele Frauen bereit waren, jeden Nachmittag mit ihr und Verica in den Wald zu gehen, sagte jedoch viel darüber aus, was in den vergangenen Jahren innerhalb des Clans vorgegangen war.
Sabrine wollte den weiblichen Clan-Mitgliedern helfen, aber sie verlor auch nicht den eigentlichen Grund ihres Hierseins aus den Augen. Sie suchte eifrig nach dem Clach Gealach Gra , doch bisher hatte sie nicht einmal einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort gefunden. Ihre Verzweiflung wurde täglich größer, als die Volljährigkeitszeremonie ihres jüngeren Bruders immer näher rückte und sie den dafür nötigen heiligen Artefakt nicht finden konnte.
Ihre täglichen Aktivitäten beschränkten sich jedoch nicht auf den Unterricht und die Suche nach dem
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