Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
gründen? Selbst wenn wir den Sommer und den Herbst über dort jagen können – glaubt Ihr, wir würden einen Winter überstehen? Nach Hause zurück können wir jedenfalls nicht.«
»Wir könnten … im Wald Zeit gewinnen«, schlug Swetja vor. »Wir könnten neu nachdenken, wohin wir uns stattdessen wenden wollen.«
»Oh«, sagte Borija. » Das weiß ich schon.«
Swetja folgte seinem Blick. Im Südosten erhob sich eine gewaltige Bergkette, Zinnen und Grate wie bei einer Festung des Himmels. Die Hänge wirkten unüberwindlich. Selbst die niedrigsten Pässe glitzerten weiß, Schnee und Eis, die nicht einmal der Sommer hatte vertreiben können.
Borija nickte. »Ganz genau«, sagte er. »Dahinter liegt unser eigentliches Ziel.«
»Unmöglich!«, erwiderte Swetja. »Unmöglich kommen wir dort hinüber.«
»Nun«, sagte Borija. »Es gibt einen Weg. Aber ohne weitere Vorräte werden wir es kaum schaffen. Ich weiß auch nicht, wie weit wir kommen würden, wenn wir unseren Führer hier nicht aufspüren. Dennoch, dort liegt unser Ziel, der einzige Ort, an dem wir auf Hilfe hoffen können gegen das, was unser Reich bedroht.«
»Und dieses Ziel«, fragte Swetja sarkastisch, »ist auch auf Eurer Karte verzeichnet.«
»Nein«, sagte Borija. »Aber wir werden es trotzdem versuchen müssen, sonst sind wir verloren. Betet also zu den Sternen, dewa Swetjana, dass wir hier den Mann finden, der uns helfen kann, damit wir nicht allein und ohne Vorräte dorthin aufbrechen müssen.«
Swetja sah ihn misstrauisch an. »Was ist dort im Osten jenseits der Berge?«, fragte sie. »Das Volk unserer Vorfahren? Oder wohin sind wir wirklich unterwegs?«
»Zur Zitadelle der alten Götter«, antwortete Borija. »Dort werden wir Antworten auf unsere Fragen erhalten. Aber ob wir dort ankommen, wenn wir hier scheitern – das weiß ich nicht.«
Borija befahl seinen Dragonern, das Geröll beiseitezuräumen. »Vielleicht gibt es hier einen Zugang, der verschüttet wurde«, erklärte er Swetja.
Die Männer entfernten einige Felsbrocken und rollten sie über die Kante ins Tal hinab. Sie zerrten und zogen an den Steinen, doch sie konnten den Fels dort keinen Fingerbreit bewegen. Was so aussah wie ein Geröllfeld, war in Wahrheit eine fest verbundene Felswand mit vielen Rissen und Spalten. Die wenigen losen Steine sahen aus, als wären sie später nachgerollt, und es waren zu wenige, um einen Zugang zu verdecken.
»Sollen wir Werkzeug nehmen und Steine heraushacken?«, fragte Fähnrich Fejdor.
Borija stand dabei, und er wurde immer aufgebrachter. Schließlich legte er selbst Hand an. Er packte lose aussehende Brocken und rüttelte daran. »Das kann nicht sein, dass man sich hier durchgraben muss«, sage er. »Vielleicht müssen wir doch auf der anderen Seite des Berges suchen …«
Gordej, der junge Dragoner, stieß plötzlich einen Ruf aus. Er hatte an einem zerfurchten Brocken gezogen, und plötzlich klappte ein langer schmaler Streifen von der Felswand ab. Das Stück sah aus wie ein Hebel, ganz aus Felsgestein gemeißelt und so unregelmäßig geformt, dass es einer Reihe lose aneinanderliegender Kiesel glich. Gordej zog diesen Hebel weiter, und ein hohles und hallendes Rumpeln erklang aus dem Berg.
»Herr Hauptmann«, rief er. »Seht her!«
Borija eilte herbei. Er schob Gordej beiseite und zog entschlossener an dem Steinhebel. Es knirschte laut. Ein ganzer Teil der Felswand klappte auf, und eine Höhle tat sich dahinter auf. Kälte schlug ihnen entgegen wie der Atem eines Toten.
20.
Swetja starrte ins Dunkel und fröstelte. Das Licht des Sommertags reichte nur wenige Schritt weit in den Höhlengang hinein. Der Boden dort verlief ein wenig abschüssig, Wände und Decke schienen in derselben Art gefügt zu sein wie der Eingang: ein Haufen größerer und kleinerer Felsen, die aussahen wie loses Geröll, die aber – hoffentlich – deutlich fester verbunden waren.
»Habt Ihr das erwartet?«, fragte Swetja.
»Nein.« Nach der ersten Begeisterung wirkte Borija ernüchtert. »Ich wusste nur das, was auf der Karte steht – und dass wenigstens ein Mann heute noch hier zu finden sein muss, was auch immer sich sonst verändert haben mag. Aber der Zugang beweist, dass wir auf der richtigen Fährte sind.«
Er wandte sich an seine Soldaten. »Wir brauchen Licht da drin. Lewo, Niklaj, weiter unten am Weg habe ich altes Holz gesehen, das von dem Bergbach in die Klamm gespült wurde. Holt davon so viel, wie ihr auf die Schnelle sammeln
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