Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
diesen Männern.«
Swetja blickte betreten ins Wasser. »Es tut mir leid, dass ich an Euch gezweifelt habe. Ihr hättet Euch mir gegenüber nicht rechtfertigen müssen.«
»Nun«, sagte Borija. »Ich konnte es ja erklären. Darum war es mir wichtig, das zu tun. Ihr müsst verstehen, dewa Swetjana, dass viele Entscheidungen, die ich treffe, sehr verwickelt sind. Ich werde nicht immer in der Lage sein, Euch jede Einzelheit zu erläutern.
Darum erzähle ich Euch das alles. Damit Ihr mir beim nächsten Mal, wenn vielleicht keine Zeit für Erklärungen bleibt, wenigstens zubilligt, dass ich wohlüberlegt handle, und mir dann folgt wie ein jeder meiner Soldaten. Unser Überleben und der Erfolg unserer Mission könnten davon abhängen, dass Ihr mir einfach vertraut, wenn es darauf ankommt.«
Sie standen eine Weile beisammen und lauschten dem Platschen der Wellen, die gegen den Schiffsrumpf schlugen. »Ich verstehe«, sagte Swetja schließlich. »Ich bin nur die Sterndeuterin, und Ihr seid der Soldat. Wie sollte ich Euch nicht vertrauen? Immerhin wart Ihr auch am richtigen Ort, als ich Hilfe brauchte und um mein Leben rannte.«
Borija nickte. Er legte seine Hand auf Swetjas. »Ich werde weiterhin da sein, dewa Swetjana. Wohin auch immer ich Euch führe, ich versichere Euch: Eure Sicherheit steht auf dieser Reise an erster Stelle für mich.«
Swetja erschauerte unter der Berührung. Borija zog seine Hand ein wenig zu hastig zurück.
»Der Erfolg unserer Mission«, sagte Swetja, »die Rettung unseres Königreiches, sollte das nicht an erster Stelle für Euch stehen?«
»Ich tue, was ich tun muss«, sagte Borija vieldeutig. Er sah Swetja nicht mehr an, sondern blickte den Strom hinauf, dem Ziel ihrer Reise entgegen.
Die Reise auf der Djena dauerte zwölf Tage. Die meiste Zeit blieb das Wetter warm und trocken, ein heller Frühsommer, der den steten Wind über dem Strom angenehm machte. Des Morgens stieg Nebel aus den umliegenden Wäldern, und die Luft roch würzig und frisch. Nur einmal ging ein Gewitter nieder, mit brausenden Regenfällen, vor denen sie auf einem stillen Seitenarm zwischen dem Schilf Schutz suchten. Sie spannten das Segel als Zeltplane über das Deck und harrten darunter aus, beruhigten die Pferde, während das Wasser von oben auf das harte Tuch trommelte.
Die meiste Zeit konnten sie segeln, mal mit günstigem Wind geradewegs stromauf, mal behäbig kreuzend. Mitunter verengte sich der Strom, sodass die Strömung spürbar stärker wurde. An diesen Stellen liefen Treidelpfade am Ufer entlang, und die Pferde der Kavalleristen leisteten gute Dienste. Einmal führte sogar ein schmaler Kanal um ein Stück des Flusses herum, das gar nicht schiffbar war.
Sie nächtigten in winzigen umfriedeten Weilern im Wald, aber sie hatten stets ein Auge auf ihre Schiffe und auf die Schiffsbesatzung, die nicht glücklich darüber wirkte, dass sie statt der Waren Soldaten fahren mussten.
Swetja bewunderte die vielfältigen Spuren von menschlichem Leben, die diese scheinbare Wildnis säumten. Doch des Abends, wenn sie in den einfachen Gasträumen saßen und wenn die Einheimischen Geschichten aus dem großen Wald erzählten, von verwilderten Menschen und Werwölfen im finsteren Forst, von geisterhaften Völkern und von Dämonen, die ganze Landstriche heimsuchten, von Holzfällertrupps, die spurlos verschwanden, und von palisadenbewehrten Dörfern, die von einem Tag zum anderen plötzlich verlassen und wie verfallen wirkten, dann ahnte sie, dass diese Wildnis tatsächlich ungezähmt war, dass die Siedler aus Modwinja sie nur streiften, so weit der Fluss sie trug.
Dann und wann fanden sie tatsächlich aufgegebene Dörfer am Ufer, mit morschen und eingefallenen Palisaden, mit eingestürzten Häusern, aus deren Dächern die ersten jungen Baumkronen wuchsen. Verglichen mit den Geschichten wirkten die Orte überraschend nüchtern, mehr traurig als unheimlich, als wären die Bewohner einfach irgendwann fortgezogen.
In der Ferne schimmerten die Berge über dem Wipfelmeer. Mit jedem Tag rückten sie näher und ragten bald vor ihnen auf wie ein Schutzwall für die Götter, zum Greifen nah und doch noch fern.
Mit jeder Einmündung, die sie passierten, wurde die Djena schmaler und flacher und schwerer zu befahren. Immer öfter mussten sie den Untiefen ausweichen. Swetja sah den Kiesboden unter dem Kiel, als müsste er bald an den Planken reißen. Die Schiffe wurden öfter getreidelt, und freigehaltene Wege waren immer seltener
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