Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
Sterngucker. Gordej!«
Der Dragoner warf seine Uniform über das Pferd. Hauptmann Borija fing sie auf und reichte sie an Swetja weiter. »Dort drüben hinter den Büschen könnt Ihr Euch umkleiden«, sagte er.
»Die Stiefel auch?«, fragte Gordej.
»Natürlich die Stiefel auch, Dummkopf«, raunzte Borija ihn an. »Soll ich sie als barfüßigen Dragoner durch die Gaststube führen? Lass dein Schuhwerk einfach da stehen und komm bloß nicht auf die Idee, das nach uns zu werfen.«
»Hauptmann …«, flüsterte Swetja zaghaft.
»Was ist, dewa Swetjana?«, fragte Borija.
»Mein Kleid …«, stammelte sie. »Die Schnüre!«
»Hehe«, rief Gordej. »Da kann ich helfen. Damit kenn ich mich aus!«
»Könnt dir so passen, Bengel«, knurrte Borija. »Die Huren, an denen du geübt hast, tragen bestimmt nicht das Ballkleid einer Dewa. Nimm dein Pferd und verschwinde. Du kannst in den Weißen Wolf kommen, wenn du eine passende Verkleidung für unseren Gast gefunden hast. Und wenn du selbst wieder was Anständiges anhast!«
Er wandte sich wieder Swetja zu. »Entschuldigt bitte.« Er drehte sie herum, löste die Schnüre an dem Kleid und lockerte sie ein wenig. »Das müsste reichen.«
Swetja lief eilig hinter die Bäume. Sie kämpfte sich aus dem Ballkleid und hatte Tränen in den Augen, als sie daran dachte, wie sie es angezogen hatte. Wie anders der Abend dann doch verlaufen war!
Jetzt war sie mit dem Hauptmann allein im Wald, und das war doch ein merkwürdiges Gefühl, obwohl Borija immer nur höflich zu ihr gewesen war.
Sie schlüpfte hastig in die Dragoneruniform, die ihr zu weit war und die eigentümlich roch. Nach Männerschweiß , dachte sie. Sie zupfte an dem Stoff herum und spürte, wie sie rot wurde.
Sie hatte niemanden, der ihr das Mieder aufschnürte, und allein schaffte sie das auch nicht. Aber unter der Uniform störte es erst einmal nicht … sehr. Sie würde hoffentlich später eine Lösung finden.
Als sie fertig war, schaute sie auf ihre Hände, die so schmal und glatt aussahen wie eh und je. Sie fragte sich, was man in ihrem Gesicht sehen konnte – und was man dort gesehen hatte, kurz nachdem ihr Vater sie gerettet hatte. Im Augenblick jedenfalls erinnerten nur noch ihre Locken, die ihr weiß auf die Schultern hingen, daran, dass sie sich das alles nicht eingebildet hatte.
Swetja atmete einige Male tief durch und eilte zum Hauptmann zurück. Nachdem sie die Stiefel angezogen hatte, stieg Borija als Erster auf sein Ross und zog Swetja dann hinter sich in den Sattel.
»Entschuldigt, dewa Swetjana«, sagte er. »Wenn ein Kavallerist einen anderen auf seinem Pferd mitnimmt, wird das kein Aufsehen erregen. Aber wenn ein Hauptmann seinen Soldaten wie ein Mädchen vor sich auf den Sattel nimmt …«
Swetja nickte und sagte nichts. Sie hielt sich an Borijas Rücken fest, und der Hauptmann ritt los.
Er entschuldigt sich zu viel, dachte sie.
Das Gasthaus zum Weißen Wolf war eine verrauchte Kaschemme in der nördlichen Vorstadt. Ein modriger Geruch zog durch die offenen Fenster vom Fluss her in die überfüllte Gaststube und mischte sich mit dem Qualm, dem Gestank der Männer und dem Dunst von Alkohol. Es war ein Ort, den Swetja unter normalen Umständen niemals betreten hätte. Aber das, überlegte sie, war jetzt ein Vorteil: Es war ein Ort, an dem man sie nicht so schnell suchen würde.
Werde ich gesucht?
Es war dumm, etwas anderes zu glauben.
Hauptmann Borija führte sie zwischen lärmenden Gästen hindurch und durch eine Tür in die Diele. Swetja hielt den Kopf gesenkt. Sie hatte ihr üppiges Haar unter den Hut gestopft, den Borija ihr geliehen hatte. Niemand warf dem jungen Dragoner mit der zierlichen Statur und dem ungewöhnlich glatten Kinn einen zweiten Blick zu.
Borija winkte den Wirt heran und mietete ein Zimmer im Obergeschoss für sie an. Er begleitete sie die Treppe hinauf und bis vor die Tür.
»Gordej wird bald eine angemessene Garderobe bringen«, sagte er und fügte hinzu: »Hoffe ich jedenfalls. Dann könnt Ihr herunterkommen, und wir reden. Bis dahin schließt Ihr Euch am besten hier im Zimmer ein und öffnet niemandem.«
»Könnt Ihr mir ein Mädchen schicken, Hauptmann Borija?«, fragte Swetja. »Zum Umkleiden … und zum Waschen?«
Borijas dunkle Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich weiß nicht, ob das klug …«
»Bitte Hauptmann!« Swetja schaute zu ihm auf, und er gab nach.
»Ich werde sehen, was ich tun kann. Wenn Gordej wieder da ist, werden wir gewiss noch ein
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