Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx
mit dem Blick. Der Hauptmann der Dragoner war ein hochgewachsener Mann in den Dreißigern. Kurz geschnittene schwarze Haare lugten unter dem hohen roten Dragonerhut hervor, und trotz der breiten Schultern und der kräftigen Gestalt wirkte er schlank. Ein Säbel baumelte an seiner Hüfte.
»Dewa«, grüßte er sie knapp, als ihre Blicke sich trafen. Dann schnalzte er mit der Zunge und sprengte im Galopp davon. Der Reiter, der Swetja vor sich im Sattel mitnahm, folgte ihm.
Sie preschten durch die Parkanlage. Swetja kannte sich hier nicht aus. Der Eingang, durch den sie gekommen war, lag auf der anderen Seite des Palastes. Sie lehnte sich gegen den Arm des Soldaten und ließ sich durch die Nacht tragen wie durch einen Traum. Was hier geschah, war ihr so unbegreiflich wie alles zuvor. Sie wartete immer noch darauf, dass sie erwachte und all das im Sonnenlicht zerstob.
Die Wiesen und die gepflegten Kieswege endeten an einem Wald, der viel dichter war als jener, in den Swetja sich zuerst geflüchtet hatte. Sie folgten einem schmalen Pfad. Äste knisterten an den Schultern der Reiter. Der Hauptmann zog seinen hohen Hut aus und legte ihn vor sich auf den Sattel.
»Wir können hier nicht Halt machen, Gordej«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Aber wir können auch nicht so in die Stadt. Wir machen einen Abstecher in den Sorchoj.«
»Aye, Hauptmann«, antwortete der Soldat hinter Swetja.
Sie zog den Kopf ein. So viele Fragen brannten ihr auf der Zunge, doch sie wagte nicht, sie auszusprechen und sich der Wirklichkeit zu stellen.
Solange ich es nicht anerkenne, ist es gar nicht passiert.
Swetja wusste selbst, wie unsinnig der Gedanke war. Aber in ihrem Inneren war sie noch erstarrt von dem, was geschehen war. Wenn sie sich eingestand, dass es mehr war als ein Traum, würde sie schreien und zusammenbrechen!
Also ritt sie mit den beiden Dragonern mit, aus dem Wald hinaus, der den Palast umgab, über Felder und Weiden. Bald sahen sie am Horizont einen schwarzer Streifen unter dem bunten Licht der Monde. Sie ritten auf den Forst zu, und auf einer Lichtung darin machten sie Halt.
Der Hauptmann stieg ab. Er reichte Swetja die Hand und half ihr vom Pferd. »Verzeiht die Unannehmlichkeit, Dewa«, sagte er. »Aber wenn Ihr im Ballkleid in der Stadt einreitet, werdet Ihr Aufmerksamkeit erregen. Wir müssen Euch also verkleiden, und leider haben wir dafür nichts anderes zur Verfügung als die Uniform des guten Gordej.«
»Was?«, rief der Soldat. »Soll ich in Unterwäsche zur Stadt zurück?«
Der Hauptmann grinste und blickte zu ihm auf. »Besser du als die Dame, nicht wahr?«
Grummelnd stieg der Dragoner auf der anderen Seite ab und löste die Knebelknöpfe und Schlaufen seiner Uniformweste. »Meinen Säbel bekommt sie aber nicht«, verkündete er. »Für den hab ich unterschrieben.«
»Ich glaube, wir kommen ohne den aus«, sagte der Hauptmann. »Auch wenn ein Reiter in Unterhose mit Säbel vermutlich mehr Blicke auf sich zieht als ohne.«
Er wandte sich Swetja zu und verbeugte sich. »Ich habe mich nicht vorgestellt: Hauptmann Borija von den 3. Dragonern, edle Dame. Ich entschuldige mich für die Zumutungen und hoffe, Ihr habt Verständnis. Auf der Flucht darf man nicht wählerisch sein.«
Swetja knickste. »Swetjana dewa Jerigin. Ich bedanke mich, dass Ihr mich herausgebracht habt – auch wenn ich noch immer nicht weiß, wovor wir eigentlich fliehen und warum Ihr mir helfen wollt. Was geht im Palast vor?«
Borija kratzte sich am Kopf. »Ich hatte gehofft, dass Ihr mir das erklären könnt. Oder besser gesagt, dass uns heute Abend jemand in die Arme läuft, der das kann.« Er kniff die Augen zusammen und musterte Swetja von der Seite. »Und Ihr scheint in der Tat ein wenig jünger zu sein, als ich zunächst angenommen hatte, wenn diese Bemerkung gestattet ist. Die hellen Haare und die Hetze des Augenblicks haben meine Sinne wohl getäuscht.«
Er zuckte die Achseln.
Swetja öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, aber der Hauptmann hieß sie mit einer Geste schweigen. »Nein, nicht jetzt. Nicht hier. Wenn wir in der Stadt sind und feste Mauern um uns haben, dann ist Zeit für Erklärungen.
Auf jeden Fall …« Er verbeugte sich noch einmal und hauchte einen Kuss auf Swetjas Handrücken. »… dürft Ihr nicht annehmen, dass ich lieber jemand anderen gerettet hätte. Genau genommen bin ich froh, wenn ich eine so reizende junge Dame in Sicherheit bringen darf anstelle einer weisen Frau oder einem dicken alten
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