Im Morgengrauen
sein Geruch kitzelte schon meine Nase. Noch ein Beweis, dass etwas anderes in mir steckte als nur ein Mensch. Als wir uns den Häusern näherten, stellte ich zu meiner Freude fest, dass Vaters Jeep noch nicht dastand. Ich konnte noch ein bisschen Zeit mit Manuel verbringen. Wieder einmal hatte ich ihn vernachlässigt. Er war gerade dabei, ein Pferd zu striegeln, als ich ihn von weitem bemerkte. Bei seinem Anblick fielen mir Annas Worte wieder ein:
Hast du seine Muskeln gesehen?
Lerne, auf dein Herz und deinen Körper zu hören.
Ich musste mir eingestehen, dass der junge Mann, der sich gerade aufgerichtet hatte und mit einer Hand die schwarzen Locken, die ihm ins Gesicht gefallen waren, nach hinten warf, nichts Bubenhaftes mehr an sich hatte. Ganz im Gegenteil: Er war ein Mann. Ein Mann, der mir ein wunderbares Lächeln schenkte. Seine Mutter würdigte er keines Blickes. Als er nach den Zügeln meiner Stute griff, als wolle er mir helfen, vom Pferd abzusteigen, ging Anna einfach weiter.
„ Kavalier heute?“, neckte ich ihn.
„ Immer für meine Prinzessin“, konterte er.
Was wollte er damit bloß andeuten? Sollte es ein Kompliment sein oder meinte er eher die Prinzessin auf der Erbse? Ich sah ihn fragend an, fast vorwurfsvoll, denn egal, wie es gemeint war, es gefiel mir nicht. Manuel wechselte zwar das Thema, ich vernahm aber immer noch eine Spur Sarkasmus in seiner Stimme.
„ Und, wie war euer Nachmittag unter Frauen?“
Irritiert antwortete ich kurz: „Schön. Danke der Nachfrage.“
„ Tja, da bin ich aber froh, dass ihr euch wenigstens amüsiert habt.“
„ Bitte hör auf damit! Sonst gehe ich sofort nach Hause.“
„ Nein, bleib noch! Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken.“
Er führte Aquila zu dem Hengst, mit dem er sich bei unserer Ankunft beschäftigt hatte, machte sie fest, befreite sie von ihrem Sattel, und reichte mir lächelnd eine Bürste.
„ Du kannst mir trotzdem von eurem Nachmittag erzählen. Er interessiert mich brennend. Habt ihr über mich gesprochen?“, fragte er zögerlich.
„ Eigentlich nicht.“
Es kam mir nicht so vor, als würde ich ihn anlügen. Ich wusste genau, dass er unser Gespräch vom Vormittag meinte. Er wollte lediglich wissen, ob ich mit seiner Mutter über seine Gefühle gesprochen hatte. Das hatte ich wirklich nicht. Manuel schien erleichtert zu sein, dass ich nichts erwähnt hatte. Bevor er weitere lästige Fragen stellen konnte, bat ich ihn, nicht mehr auf seine Mutter böse zu sein: „Sie versucht nur, mir zu helfen, und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Es hat mir gut getan, mit ihr zu reiten, auch wenn ich lieber mit dir zusammen gewesen wäre. Bestimmt wollte mein Vater, dass sie mit mir redet, von Frau zu Frau. Ich glaube, meine Hormone überfordern ihn ein bisschen zurzeit“,
meine Gene auch
, hätte ich am liebsten hinzugefügt.
„ Du meintest: ‚
Eigentlich
nicht.‘ Also habt ihr doch ein wenig über mich geredet“, stellte er schelmisch fest.
Ich lächelte schweigend zurück und genoss seine Ungeduld, während ich ihn zappeln ließ.
„ Deine Mutter hat nur festgestellt, dass du ein großer Junge geworden bist.“
„ Siehst du! Meine Rede!“, strahlte er.
Keine Frage … die Wendung der Konversation gefiel ihm.
„ Träum du nur weiter!“
„ Das tue ich. Glaub mir: Das tue ich … unentwegt.“
Kaum hatte ich Aquila fertiggestriegelt, hörte ich den Jeep. Mit Bedauern küsste ich Manuel hastig auf die Wange und wollte gehen. Da ergriff er meine Hand und strich mir zärtlich eine Strähne aus der Stirn.
„ Sehen wir uns morgen?“
Mit einem knappen „Klar!“ riss ich mich los und rannte nach Hause.
Marie hatte ihren Tag sehr genossen, obwohl sie bedauerte, den Tiger nicht in Aktion gesehen zu haben. Die Zuschauer konnten das Prachtstück nur in einem Käfig hinter der Manege betrachten. Nichts Spektakuläres für meine kleine Schwester, die der Raubkatze einen Tag zuvor gegenübergestanden hatte, und zwar ohne Gitter dazwischen.
Mein Vater erkundigte sich nach meinem Tag, während er Feuer machte und ich den Tisch deckte. Ich berichtete in groben Zügen, ließ jedoch vieles weg, wie zum Beispiel Manuels Besuch. Wider Erwarten hakte er nicht weiter nach. Am Tisch sprachen wir über Gott und die Welt, als ob nichts geschehen wäre. Als ich auf mein Zimmer wollte, unterstrich er, dass ich kein Fernsehverbot hätte. Ich gab vor, müde zu sein. Dabei wollte ich nur allein sein, um über die letzten Stunden
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