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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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hättest dich so oder so verwandelt. Es ist nur ein Topas … ein Stein, der Kraft und Energie verleiht. Nichts weiter. Ich bin mir sicher, dass er deine Ängste lindern kann. Die Magie ist in dir; der Stein ist nur ein Talisman, kein Werkzeug. Du solltest ihn beim Schlafen tragen, vielleicht verschwinden die Albträume.“
    Schweigend trabten wir dann weiter bis zu den Feldern.
    „ Sollen wir zum Fluss galoppieren?“, fragte sie, als wir sie erreicht hatten.
    Mein Gesichtsausdruck war Antwort genug und wir sausten davon. Am Fluss angekommen ließen wir die Stuten am Wasser trinken, ehe wir sie an einem Baum festbanden.
    „ Ich hatte damit gerechnet, dass du mich mit Fragen durchlöcherst“, fing sie an.
    „ Du hast gesagt, dass du und Mama umziehen wolltet, damit ich nicht das Gleiche wie ihr …“
    „ Deine Mutter und ich sind immer davongelaufen. Wir haben versucht, unserem Schicksal zu entfliehen. Wir haben mit Absicht Homo sapiens geheiratet in der Hoffnung, dass unsere Kinder sich nie verwandeln würden. Es ist zwar erblich, es gibt aber durchaus sogenannte Anomalien. Wir dachten, eine Kreuzung mit Menschen würde die Chance auf das, was wir für Normalität hielten, vergrößern. Wir haben uns getäuscht. Zu viele Legenden kursierten im Jura. Deine Mutter wollte schon lange weg; sie meinte, der Ort wäre nicht gut für euch. Dabei hat sie diese Gegend geliebt. Als dein Großvater starb, hat sie sofort die Koffer gepackt, und ihr seid deinem Vater nach Paris nachgereist. Er hatte damals eine große Baustelle dort. Ihr habt einige Wochen im Hotel gewohnt, bis sie den Pferdestall fand und kaufte. Den Rest kennst du: Ihr habt in unserem jetzigen Haus gewohnt, während eures gebaut wurde. Wir sind dann nachgekommen.“
    „ Sind Werwölfe wirklich unsterblich?“
    „ Nein. Zum einen können sie durch Gewalt sterben. Und diejenigen, die ständig als Mensch leben, altern ganz normal. Wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, verlängert sich die Lebenserwartung enorm, wenn man die Wolfsgestalt nicht ablegt. Deshalb gibt es Rudel, deren Wölfe sich weigern, sich in die Gesellschaft einzugliedern. Es heißt, ein Werwolf hätte zwei Leben, das eines Menschen und das eines Wolfes. Eine Überzeugung, die fest verankert ist, an die ich nicht wirklich glauben kann. Ich könnte mir vorstellen, dass diese ganzen Gerüchte auf der Tatsache beruhen, dass in den letzten Jahrhunderten die Lebenserwartung in der Natur höher war als in den Städten mit ihren Krankheiten und Epidemien. Sollte ich falsch liegen, wollte ich für nichts auf der Welt unter solchen Umständen fünfzehn Jahre länger leben. Auch keine zwanzig oder dreißig.“
    „ Mein Großvater … ist er gewaltsam zu Tode gekommen?“, fragte ich zögernd, als ob ich das noch nicht verstanden hätte.
    „ Der Rat ist für seinen Tod verantwortlich.“
    „ Der was?“
    „ Der Rat ist eine Art Gericht von älteren Wölfen. Früher gab es mehrere solche Zusammenschlüsse in Europa. Es wurde immer um die Position des Ratsoberhauptes gekämpft. Der Stärkste hatte das Sagen. Die Tradition ging in unserer Gesellschaft verloren. Soviel ich weiß, gibt es in dieser Form nur noch eine Vereinigung. Sie wird seit Jahrzehnten vom gleichen Mann geführt. Der Rat sorgt dafür, dass die Wölfe nicht gegen die eigenen Gesetze verstoßen. Das oberste Gebot: Mach nicht auf dich aufmerksam! Es ist ihnen aber auch untersagt, sich mit Therianthropen zu vermählen … im Prinzip.“
    „ Das verstehe ich nicht, Menschen, die sich in Wölfe verwandeln, sind doch auch Therianthropen ... irgendwie.“
    „ Mag sein, viele unter ihnen betrachten es aber als Beleidigung, so genannt zu werden. Seit je her sträuben sich die Wölfe dagegen, mit Katzen in einen Topf geworfen zu werden. Gerüchte zufolge kann durch Kreuzungen beider Spezies eine neue Rasse entstehen, die überlegen ist, aber auch aggressiv, und somit sowohl für Wölfe als auch für Menschen gefährlich ist. Deine Großeltern haben immer versucht, unauffällig zu leben, um ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es ist ihnen auch jahrelang gelungen, bis deine Tante ihre Schule gegründet hat.“
    „ Das Internat für begabte Kinder?“
    „ Ja, das war die offizielle Version. In Wahrheit war das eine Schule für Therianthropen. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den jungen Leuten zu helfen, mit sich und ihren neuen Körpern klarzukommen. Die Schüler sollten lernen, ihre Begabungen zu entdecken und zu entfalten,

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