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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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aber vor allem sollte ihnen geholfen werden, sich zu integrieren. Die Idee war lobenswert und die Resonanz riesig. Als eine Vergrößerung der Schule geplant wurde sowie die Gründung einer weiteren, bekam es der Rat mit der Angst zu tun. Er befürchtete auf einmal, die Therianthropen könnten zu machtvoll werden. Die Tatsache, dass deine Tante ein Hybrid war und eigentlich gar nicht erst existieren durfte, kam ihnen gelegen. Sie verdrehten die Wahrheit und behaupteten, Laurence würde eine Armee ausbilden, um die Werwölfe zu vernichten. Seitdem ist sie der Feind Nummer Eins des Rates.“
    „ Lebt sie noch?“
    „ Ich denke schon. Nach den schrecklichen Geschehnissen im Jura und in den Pyrenäen wollte sie sich auf einem anderen Kontinent niederlassen.“
    „ Und Mama, ist sie …“, ich konnte meine Frage nicht zu Ende stellen.
    Anna wusste, was ich wissen wollte. Sie nahm meine Hände. Ich konnte die Tränen in ihren Augen sehen, ehe sie antwortete: „Deine Mutter war zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie hatte zwar dafür gesorgt, dass ihr weit weg von Laurence wohnt, um euch zu beschützen; sie stand aber ihrer Schwester sehr nahe und besuchte sie oft. Unglücklicherweise war deine Mutter dort, als die zweite Schule überfallen wurde. Deine Tante nicht. Sie hatten keine Chance … so viele Kinder wurden an diesem Tag umgebracht.“
    Ihre Stimme zitterte, sie hatte meine Hände losgelassen, um ihr Gesicht zu verbergen, als würde sie sich schämen, dieser Rasse anzugehören. Ich war bestürzt und konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Als sie es merkte, nahm sie mich in die Arme, und wir weinten zusammen … lang, sehr lang … bis sie mich zum Fluss führte, damit wir uns erfrischen konnten. Plötzlich verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln: „Dein Vater wird wirklich meinen, dass du ihn verschaukelst, wenn du behauptest, Antoine sei unwichtig. Das Ausreißen, die Albträume, die Augen, die immer noch geschwollen sind. Ich weiß, was wir machen … oder besser, was du machst, damit du auf andere Gedanken kommst.“
    „ Oh nein! Kommt nicht infrage“, sagte ich, als sie meiner Stute den Sattel abnahm.
    „ Probier es bitte! Nur einmal.“
    „ Habe ich schon! Ich möchte dich erinnern, dass ich mir vor ein paar Jahren beinahe das Genick gebrochen hätte.“
    „ Das war vorher. Außerdem spricht keiner von Voltigieren. Ich möchte nur sehen, ob du ohne Sattel reiten kannst. Bitte, sei so lieb. Nur einmal. Solltest du dich nicht wohlfühlen, hörst du sofort auf“, versicherte sie mir.
    Zögernd ging ich zu Aquila, nahm die Zügel in die linke Hand, und legte sie auf ihren Widerrist. Dabei schaute ich Anna vorwurfsvoll an. Ich platzierte meinen linken Fuß in die Räuberleiter, die sie mir bot, atmete tief ein, und zog mich hoch. Anna, die mir immer zartgliedrig vorgekommen war, hatte sich keinen Zentimeter unter meinem Gewicht gerührt. Ich war erleichtert, dass ich es geschafft hatte, auf meine Stute zu kommen, ohne mich zu blamieren. Nichtsdestotrotz traute ich mich nicht, mich zu bewegen. Anna zog am Zügel, um mich vom Baum wegzubringen.
    „ Entspann dich, atme tief durch und trabe ganz langsam“, riet sie mir.
    Ich streichelte Aquila am Hals, nahm die Zügel in die rechte Hand und ließ sie gehen. Ihr Schritt wurde immer schneller. Mit zunehmender Geschwindigkeit gewann ich an Sicherheit, als wäre ich schon immer ohne Sattel geritten. Nie hatte ich mich meinem Pferd so nah gefühlt, als würden wir miteinander verschmelzen. Ein noch nie gekanntes Gefühl von Freiheit erfasste mich, und wir fingen an zu galoppieren. Irgendwann wurde unser Rausch von Anna unterbrochen. Als sie uns auf Arabella einholte, war ihre Freude nicht zu übersehen. Lachend meinte sie: „Es tut mir Leid, wenn ich euch bremsen muss. Es ist aber Zeit, nach Hause zu gehen. Vorher müssen wir noch zum Fluss, um deinen Sattel zu holen. Ich wusste es!“, fügte sie triumphierend hinzu, ehe sie zurückgaloppierte.
    Als wir später zum Stall trabten, wollte ich wissen, weshalb sie sich so sicher gewesen war, dass ich es mit Bravour meistern könnte.
    „ War ich nicht. Aber alle Therianthropen, die ich kenne, sind körperlich sehr fit. Bei dir war es bisher ganz das Gegenteil, du warst immer so gewöhnlich, manchmal unbeholfen, dass deine Mutter und ich dachten, du würdest dich nie verwandeln. Guck mal deine Schwester an! Ich habe sie am Tag der offenen Tür tanzen sehen. Sie war umwerfend. Äußerlich hat sie zwar viel

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