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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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von deinem Vater, aber für den Rest … Du wirst zugeben …“
    „ Du glaubst, dass sich Marie eines Tages verwandeln wird?“, unterbrach ich sie.
    „ Dessen bin ich mir sicher. Es ist nur eine Frage der Zeit.“
    „ Und Manuel?“
    „ Tja, bei Manuel hatte ich lange gehofft, er würde es nicht tun. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon, dass ich mir nur etwas vorgemacht habe. Es gibt so viele Zeichen, angefangen bei seiner Psyche, seine Fähigkeit, Sachen zu spüren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir kommunizieren können, ohne zu sprechen… Andererseits bin ich seine Mutter. Aber auch sein Äußeres: Er ist so schnell gewachsen. Ich versuche, mich zu beruhigen und mir einzureden, dass Wachstumsschübe ganz normal sind für Jungs in seinem Alter. Und seine Muskeln, hast du sie gesehen? Auch da suche ich nach rationalen Erklärungen. Schließlich arbeitet er im Stall, und zwar täglich; also ist das vollkommen normal, dass er einen athletischen Körper hat. Jedes Zeichen für sich ist erklärbar. Wenn man sie aber alle zusammennimmt, sind das viele Merkmale, die auf eine kommende Metamorphose hindeuten.“
    „ Du irrst dich vielleicht. Bei mir gab es keine Zeichen, keine Gabe.“
    Sie schaute mich skeptisch an, als versuche sie, in mir zu lesen. „Und wenn deine Gabe darin besteht, dich zu tarnen? Das zu verstecken, was du kannst, was du bist, gerade weil du etwas Besonderes bist und dadurch zur Zielscheibe werden kannst? Ich frage mich, ob du nicht eine dieser Kreaturen bist, die der Rat so fürchtet. Und ich wäre nicht erstaunt, wenn du noch für ein paar Überraschungen gut wärst.“
    Kaum zu fassen, dass hier von mir die Rede war. Ihre Annahmen machten mich so neugierig, dass ich fragte, ob sie denn wisse, wo sich meine Tante befand.
    „ Nein“, schoss es entschlossen aus ihrem Mund. „Wüsste ich es, würde ich es nicht sagen.“ Sie hielt inne, um die Wichtigkeit dessen zu unterstreichen, was sie sagen wollte. „Spiel nicht mit deinem Leben, nur um deine Neugierde zu befriedigen. Deine Anwesenheit in ihrer Institution würde nicht lange verborgen bleiben. Du brauchst sie nicht, um deine Begabungen zu entdecken. Du wirst sie schon wahrnehmen, wenn es soweit ist. Lerne auf dein Herz, deinen Körper und deinen Instinkt zu hören. Und vor allem erzähle keinem, was du bist und was du kannst.“
    Da meine Großmutter ebenfalls eine Gestaltwandlerin war, ging ich davon aus, dass dies nicht für sie galt. In Anbetracht dessen, dass ich zwei Wochen bei ihr verbringen sollte, hätte ich es begrüßt, jemanden zu haben, mit dem ich darüber sprechen konnte.
    „ Nicht einmal Oma?“, fragte ich überrascht.
    „ Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre. Deine Großmutter hat sich seit dem Tod deines Großvaters und deiner Mutter sehr verändert. Sie stand sehr lange unter Schock und fängt gerade wieder an, sich davon zu erholen. Ich glaube nicht, dass es ratsam wäre, jetzt mit ihr darüber zu reden. Sollte sie etwas merken, würde ich an deiner Stelle nichts bestreiten. Sie würde es ohnehin sofort spüren, wenn du sie anlügst. Aber so lange sie nichts ahnt, wird sie sich auch keine Sorgen machen.“
    Nachdenklich trabten wir weiter. Allein die Hufe auf dem Boden waren zu hören. So viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich sollte so tun, als wenn nichts geschehen wäre, als ob ich ein gewöhnliches Mädchen wäre. Dabei hatte ich erfahren, dass ich Teil einer irrationalen Welt war. Zwei Tage zuvor hätte ich viel gegeben, um meinen Koffer zu packen, um meine Großmutter zu besuchen. Schon allein, um meinen Teenagerproblemen zu entfliehen. Doch jetzt fand ich es beklemmend, abreisen zu müssen. Ich wäre viel lieber bei Manuel geblieben, den ich gerade erst wiedergefunden hatte. Und natürlich bei seiner Mutter, die an diesem Tag zu meiner engsten Vertrauten wurde.
    Kurz vor unserer Ankunft fiel mir ein kleines Detail wieder ein. Etwas, das unter anderen Umständen nie in Vergessenheit geraten wäre, aber mir bei allem, was ich zu verarbeiten hatte, total entfallen war.
    „ Könnte es sein, dass meine Verletzungen schneller verheilen, praktisch sofort?“
    Annas Lächeln war Antwort genug. Sie fügte jedoch hinzu: „Noch ein Vorteil unserer Spezies, der wahrscheinlich zum Mythos der Unsterblichkeit geführt hat. Je oberflächlicher die Verletzung, desto schneller verheilt sie.“

6
     

     

     

     

    Der Pferdestall war noch nicht zu sehen, aber

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