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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Béchar
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meinen Helm aus der Garage, schloss die Tür und saß hinter Manuel auf. Es war das erste Mal, dass er mich zur Schule fuhr. Wider Erwarten war ich froh, seine Einladung angenommen zu haben. So konnte ich mich ohne Gewissensbisse an ihn schmiegen. Ich vergaß sogar für einen Moment meinen Traum.
    An der Schule befreite er wieder mein Gesicht von Haarsträhnen, nachdem ich meinen Helm abgenommen hatte. Als seine Berührung bei mir eine Gänsehaut auslöste, ging ich einen Schritt zurück und holte eine Spange heraus.
    „ Lass nur, ich mache mir einen Pferdeschwanz.“
    „ Schade! Du bist so schön mit offenem Haar.“
    Ich war verdutzt. Noch nie hatte jemand zu mir gesagt, ich sei schön. Außer meiner Mutter natürlich. Aber das zählte nicht. Vermutlich missverstand er meinen Blick, denn er ergänzte hastig: „Was nicht heißen soll, dass du mit Pferdeschwanz nicht hübsch bist.“
    Regungslos stand ich da.
    „ Lilly, was hast du denn heute Morgen? Du bist nicht dieselbe. Ich fühle dich nicht, du bist weit weg, viel zu weit“, meinte er leise und traurig.
    Ich gab vor, schlecht geschlafen zu haben, es schien ihn allerdings nicht zu überzeugen.
    „ Es ist, weil wir hier sind. Gib es zu! Du willst nicht, dass man uns zusammen sieht. Du hast Angst, jemand könnte meinen, dass wir miteinander gehen.“
    „ Überhaupt nicht!“, brach es aus mir hervor.
    „ Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn es dir lieber ist, werde ich dir in der Schule aus dem Weg gehen ... aber nur in der Schule.“
    Ein trauriges Lächeln begleitete seine letzten Worte.
    „ Ich versichere dir, das ist es nicht.“
    Nun war er an der Reihe, verdutzt zu sein, als ich entschlossen seine Hand nahm und mit ihm Richtung Schulhof ging. Hand in Hand überquerten wir diesen unter allgemeiner Beobachtung. Manche Blicke waren neugierig, sogar verblüfft, andere wirkten amüsiert. Es war mir egal. Für mich zählte einzig und allein, was Manuel glaubte. Als niemand mehr in unserer Nähe war, blieb ich stehen, ließ seine Hand los und fragte: „Überzeugt?“
    „ Ein Punkt für dich. Ich bin platt. Ab sofort werde ich der King sein: Ich gehe mit einem der hübschesten Mädchen der Schule. Das ist aber alles nur Show. Ich bin so unglücklich, ich verstehe dich einfach nicht. Du legst uns Steine in den Weg. Heute bist du auf einmal wieder so distanziert.“
    „ Es ist kompliziert.“
    „ Versuche es mir zu erklären. Du erlaubst?“ Er nahm meine Hand. „Ich brauche sie, nicht wegen der anderen, sondern meinetwegen. Ich kann dich besser verstehen, wenn ich dich berühre.“
    Die Beklemmung in meiner Brust wurde immer größer. Ich wusste nicht, womit ich anfangen sollte. Erleichtert hörte ich die Klingel. Gerettet!
    „ Wir haben nicht denselben Weg. Ich muss zur Turnhalle. Sehen wir uns in der Pause?“, fragte er unsicher.
    „ Hier?“, wollte ich mit einem Kopfnicken wissen.
    Ein kleines Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen. Ohne die Augen von mir abzuwenden, küsste er meine Hand, die er immer noch festhielt, ließ sie schließlich los, und ging.
     

    Die Stunden in Mathe und Spanisch zogen sich. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Manuel ging mir nicht aus dem Kopf. Ich versuchte die richtigen Worte zu finden, um ihm das Ganze zu erklären, ohne etwas preiszugeben, ohne ihn zu verletzen. Als die Klingel erneut ertönte, machte mein Herz einen Satz. Wenn das so weiterging, würde ich noch einen Herzinfarkt erleiden. Zerrissen zwischen dem Wunsch, ihn zu sehen, und der Angst, ihm wehzutun, bereute ich, dass ich dem Treffen zugestimmt hatte.
    Zögernd überquerte ich den Schulhof. Er wartete bereits auf mich, ein schwaches besorgtes Lächeln auf den Lippen. Je näher ich kam, desto schwerer wog der Stein in meiner Brust. Als ich bei ihm ankam, ergriff er ohne Umschweife meine Hände.
    „ Du erlaubst, oder? Ich höre dir zu.“
    „ Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, Manuel. Du bedeutest mir sehr viel, ich kann aber nicht deine Freundin werden.“
    „ Wegen Antoine? Oder hast du einen anderen?“
    „ Nein! So ein Quatsch!“
    Die Bestimmtheit in meiner Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen.
    „ Inzwischen hast du aber gemerkt, dass ich nicht dein Bruder bin, oder?“
    „ Erspar mir deinen Sarkasmus.“
    „ Entschuldigung, aber du erklärst rein gar nichts. Also versuche ich, mir etwas zusammenzureimen. Anscheinend hat es nichts mit dem Altersunterschied zu tun, sonst hättest du diese

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