Im Namen der Engel
Overshaw! Ein weiterer Anruf, den zu machen sie kaum erwarten konnte.
Der Fahrstuhl fuhr nach unten und hielt ruckartig an.
Sie trat aus der Kabine. Der Wind hatte zugenommen, der Regen wieder eingesetzt. Die Garage lag im Souterrain. Hier und da rann Regenwasser über den Asphalt und bildete an Stellen, wo die Fläche nicht völlig eben war, Pfützen. Zitternd schlang Bree die Arme um sich; es war so kalt, dass auch ihr Regenmantel sie nicht mehr zu schützen vermochte.
Vom Fahrstuhl führte ein eingefasster Weg zu der Rampe, über die man nach draußen gelangte. Bree kam an einem großen Haufen Bauschutt vorbei. Hier lagen die besten Parkplätze. Diejenigen in der Nähe des Fahrstuhls waren mit »Reserviert für«-Schildern versehen. Da war eines für D. Fairchild, eines für E. C. Tiptree – wie Calvins erster Vorname wohl lauten mochte, da er Calvin vorzog? – und eines für B. Skinner. Als sie daran vorbeiging, streckte sie die Hand aus und fuhr mit dem Zeigefinger über seinen Namen.
Sie verspürte einen Stich im Oberarm. Verwundert strich sie sich mit der Hand über den Ärmel …
… und wurde von einem Schmerz befallen, der sich anfühlte, als trete ihr jemand mit dem Stiefel gegen die Brust. Nach Atem ringend taumelte sie zurück. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Sie stürzte zu Boden und schrie um Hilfe. Ihre/seine Stimme war ein heiseres, krächzendes Flüstern.
Schritte. Dann zwei Hände, die ihre/seine Schultern packten. Bree verlor sich im Körper des anderen. Eine Stimme in seinem Ohr. Er sackte in jemandes Arme zurück. Ein stechender, brennender Schmerz in seinem Hals, ein bitterer Geschmack im Mund und ein entsetzlich drückender Schmerz in seiner Brust.
Er war dabei zu ertrinken. Das Meerwasser strömte ihm in den Mund, in die Augen, in die Lungen. Keuchend und nach Atem ringend kämpfte er sich aus der Dunkelheit nach oben. Dann wirbelte ihm Licht entgegen, weißes, blendendes Licht …
Auf unsicheren Füßen taumelte Bree die Rampe hoch, um ins Freie zu gelangen. Der andere verließ sie ebenso plötzlich, wie er von ihr Besitz ergriffen hatte. Zitternd drehte sie sich um und spähte in das Halbdunkel jenseits der Rampe hinunter.
Sie müssen den Ort aufsuchen, an dem er gestorben ist, hatten die anderen gesagt.
Das hatte sie eben getan.
Bree stand am Ausgang der Garage, während ihr der Regen von der Nase tropfte. Skinner war dort drinnen ermordet worden, dessen war sie sich nun sicher, auch wenn ihr das Wie und Warum noch schleierhaft waren. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, machte sie kehrt und ging in die dunkle Garage zurück.
Das Schild unterschied sich in keiner Weise von den anderen. Es maß etwa sechzig Zentimeter im Quadrat, bestand aus weißem Plastik und war mit dunkelgrünen Buchstaben beschriftet. Es war mit Schrauben an der Beton wand befestigt.
Sie ging den Weg zwischen dem Asphalt und der Wand auf und ab und stocherte mit dem Fuß in den Rigips teilen, dem weggeworfenen Isoliermaterial, den Metallboxen und dem Papiermüll herum. Nachdem sie sich die Betonfläche des Weges genau angesehen hatte, wandte sie sich dem Parkplatz selbst zu, obwohl sie eigentlich nicht so recht wusste, wonach sie suchte. Ihr fiel nichts Ungewöhnliches auf.
Sie blieb vor dem Schild stehen und zögerte. Dann klopfte sie – indem sie bei sich dachte: »Sei’s drum« – sachte gegen Skinners Namen.
Sie wusste nicht, was sie eigentlich erwartete – Stöhnen, eine blasse, geisterhafte Erscheinung, einen plötzlichen Kälteschwall oder unheimliche Lichter? Was dann aber geschah, war gruselig genug. Nachdem ein paar Minuten verstrichen waren, nahm der nur undeutlich erkennbare Benjamin Skinner vor ihr Gestalt an, ein hin und her waberndes, durchscheinendes Gebilde in Grau und Weiß.
Nur die Augen bildeten eine Ausnahme. Sie waren von eisigem Blau, stechend und dabei entsetzlich menschlich.
Es war, als sähe sie ihn auf einem alten Filmstreifen. Seine Stimme drang nur verzerrt und bruchstückhaft zu ihr durch, sodass sie lediglich Teile dessen, was er sagte, verstehen konnte.
… ertrunken … mich ermordet … ermordet …
Bree hielt den Atem an. Sie wagte es nicht, sich zu rühren, weil sie befürchtete, die Erscheinung könne sich auflösen und verschwinden. »Wissen Sie …«, flüsterte sie krächzend. Sie räusperte sich mehrmals und fuhr mit leiser Stimme fort: »Wissen Sie, wer Sie getötet hat, Mr. Skinner?«
Ein grässlicher Schrei ertönte und
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