Im Namen der Heiligen
unseren Gästen. Bereite alles vor - schnell, du wirst nicht viel Zeit haben.« Ihre Stimme klang schrill und drängend. Noch hatte Annest den Blick nicht gesenkt, noch hatte sie den Toten nicht entdeckt, der von hohen Grashalmen und abendlichen Schatten halb verborgen wurde.
Doch die Mühe war vergebens. Eine große Hand legte sich auf Annests Schulter, während sie noch zögerte, und schob sie zur Seite. »Eure Besprechung klang so laut und wütend, Sioned«, sagte eine klare Männerstimme. »Deshalb gehen wir lieber alle zusammen nach Hause - wenn du es erlaubst, Sioned.«
Engelard drängte sich an dem Mädchen vorbei, ungezwungen wie ein Bruder, und betrat die Lichtung. Er hatte nur Augen für Sioned, ging auf sie zu, stolz und selbstsicher. Erst als er näher kam, sah er die Verzweiflung in ihren Augen, und sein Gesicht spiegelte sofort alles wider, was er in ihren Zügen las. Seine Brauen zogen sich zusammen, sein Lächeln erlosch, die kornblumenblauen Augen verengten sich. Er stürmte an Bruder Robert vorbei, als würde der gar nicht existieren oder als wäre er ein lebloser Gegenstand, ein Strauch, ein abgestorbener Baumstamm, streckte die Hände aus, und Sioned legte die ihren hinein. Sie konnte nichts mehr tun, konnte ihn nicht mehr fernhalten. Er war hier, inmitten des Geschehens, den anderen schutzlos ausgeliefert. Der
Kreis der Männer - nicht feindselig, aber undurchdringlich - schloß sich immer enger um ihn.
Er hielt immer noch ihre Hände, als sein Blick auf die Leiche fiel.
Das Entsetzen durchfuhr ihn so blitzschnell, wie der Pfeil die Brust Rhisiarts durchbohrt haben mußte. Cadfael beobachtete, wie sich Engelards Lippen teilten und er fast lautlos flüsterte: »Allmächtiger Gott!« Und was sich dann ereignete, sprach für sich. Der junge Angelsachse umschloß die beiden Hände Sioneds mit seiner linken, mit der rechten strich er sanft über ihr Haar, über die Schläfe, das Kinn und den Hals, so liebevoll, daß sie sich beruhigte, wie er es wünschte - während er immer noch vor Erregung zitterte.
Er legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich, dann schaute er langsam in die Runde, von einem Gesicht zum anderen. Schließlich starrte er wieder auf seinen toten Herrn hinab. »Wer hat das getan?« Wieder sah er sich um, suchte den Mann, der von Rechts wegen als Sprecher füngieren müßte, schwankte zwischen Prior Robert, der überall, wohin er auch kam, Autorität ausstrahlte, und Vater Huw, den er kannte, dem er vertraute. Engelard wiederholte seine Frage auf englisch, aber keiner der beiden antwortete - und es dauerte sehr lange, bis jemand anderer zu sprechen begann. Zögernd, mit einem warnenden Unterton, sagte Sioned: »Einige Leute glauben, daß du es warst.«
»Ich?« rief er, mehr erstaunt und verächtlich als erschrocken. Prüfend sah er in ihr angstvolles Gesicht.
Lautlos formten ihre Lippen: Lauf weg! Sie beschuldigen dich! Mehr konnte sie nicht tun, und er verstand sie, denn sie waren so innig miteinander verbunden, daß sie sich auch stumm verständigen konnten, mit Blicken. Er schätzte die Anzahl seiner möglichen Feinde ab, die Entfernung von ihnen, aber er rührte sich nicht von der Stelle. »Wer beschuldigt mich? Warum? Ich habe eher das Gefühl, daß ich die Männer befragen müßte, die ich hier vor meinem toten Herrn stehen sehe, nachdem ich den ganzen Tag bei den Kühen war. Als ich nach Hause kam, machte sich Annest Sorgen, weil Sioned noch nicht von der Kirche zurückgekehrt war. Ein Schafhirte erzählte mir, daß gar keine Abendandacht stattgefunden hätte. Wir brachen auf, um Sioned zu suchen, und im Wald hörten wir eure Stimmen. Und jetzt frage ich noch einmal, und ich will es wissen - wer hat das getan?«
»Das fragen wir uns alle, mein Sohn«, erwiderte Huw. »Niemand hat dich beschuldigt. Aber es gibt da gewisse Dinge, die uns dazu berechtigen, dich ins Verhör zu nehmen. Und ein Mann, der ein reines Gewissen hat, wird sich nicht scheuen, uns Antwort zu geben. Hast du dir schon den Pfeil angeschaut, der Rhisiart getötet hat?«
Mit gerunzelter Stirn trat Engelard näher an die Leiche heran, blickte in tiefer Trauer auf das Gesicht seines Herrn - und erst dann auf den Pfeil. Er sah die blauen Federspitzen und hielt den Atem an. »Das ist einer von meinen.« Mißtrauisch hob er den Kopf. »Oder jemand hat mein Zeichen nachgemacht... Nein, ich kenne den Schaft. Ich habe ihn erst letzte Woche geschnitzt.«
»Gibt er zu, daß ihm der Pfeil
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