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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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warum sich die Hand so seltsam anfühlte, die in das Gras neben Rhisiarts Brust gegriffen hatte. Und dann wußte er es. Das Gras, auf dem er kniete, war noch naß vom Regen des Vormittags, er spürte, wie die feuchte Kälte durch seine Kutte drang. Aber neben Rhisiarts ausgestrecktem rechten Arm war der Boden trocken. Kein Tropfen hing an der Hand, die Cadfael jetzt hochhob. Er berührte das Gras noch einmal, strich an den Rippen des Toten entlang, an den Hüften vorbei. Erst neben den Knien waren die frischen grünen Halme vom Regen benetzt. In einiger Entfernung vom Körper traf er die gleichen Feststellungen. Seltsam, zwischen dem Arm und der Brust war das Gras staubtrocken, auf gleicher Höhe mit den Knien feucht. Seltsam, sehr seltsam... Er beschloß jedoch, erst später darüber nachzudenken, denn jetzt gab es andere Dinge zu tun.
    Der hoch aufragende Schatten hinter ihm konnte nur Prior Robert sein. Er befand sich in einem merkwürdigen Zustand exaltierter Erregung, der beinahe mit Bruder Columbanus' ekstatischem Anfall zu vergleichen war. Seine hohe, gepreßte Stimme mischte sich in Sioneds tränenloses Schluchzen. »Ist er tot?«
    »Ja«, bestätigte Cadfael und schaute in Sioneds große trockene Augen, hielt ihren Blick fest, gab ihr ein stummes, noch unklares Versprechen. Was immer er ihr mitzuteilen versuchte, sie verstand es und war beruhigt, denn auch er war ein Waliser und wußte Bescheid über die Blutrache. Sie würde Hilfe brauchen, denn sie war die einzige Erbin, die einzige nahe Verwandte eines Ermordeten, und mußte eine Aufgabe erfüllen, die wichtiger war als ihr Kummer.
    Ehrfürchtig sah der Prior zum Himmel auf. »Hütet euch vor der Vergeltung der heiligen Winifred! Habe ich nicht angekündigt, daß ihr Zorn alle treffen wird, die sich ihr in den Weg stellen? Sag es ihnen, Bruder Cadfael! Sag ihnen, daß sich meine Prophezeiung erfüllt hat und daß sie sich die Warnung zu Herzen nehmen sollen! Die heilige Winifred hat ihre Macht bewiesen und ihren Unmut gezeigt!«
    Es war kaum nötig, diese Worte zu übersetzen, denn deren Sinn hatten die Männer längst begriffen. Ängstlich wichen sie zurück und versicherten hastig, daß sie sich den Wünschen der Heiligen nicht mehr wiedersetzen würden.
    »Der Gottlose erntet, was er sät«, deklamierte Robert. »Rhisiart war gewarnt - doch er hat die Weissagung mißachtet!«
    Die furchtsameren Dorfbewohner waren bereits auf die Knie gesunken und falteten beklommen die Hände. Die heilige Winifred hatte ihnen nicht sonderlich viel bedeutet, bis jemand anderer sein Interesse an ihr bezeugt und Rhisiart den älteren Anspruch der Gemeinde geltend gemacht hatte. Und jetzt war er eines gewaltsamen Todes gestorben, in seinen eigenen Wäldern...
    Sioned sah noch immer in Cadfaels Augen, über das durchbohrte Herz ihres Vaters hinweg. Sie war ein tapferes Mädchen und schwieg, obwohl ihr genug wütende Worte auf der Zunge lagen, die sie am liebsten in das bleiche, hochmütige aristokratische Gesicht des Priors geschleudert hätte. Es war nicht sie, die plötzlich zu sprechen begann, sondern Peredur.
    »Das glaube ich nicht!« stieß er hervor. »Warum sollte die sanftmütige heilige Jungfrau so schreckliche Rache an einem braven Mann üben? Ja, er war ein braver, guter Mann, auch wenn er einen Fehler begangen hat. Und selbst wenn sich Winifred hätte rächen wollen - was ich stark bezweifle -, wieso hätte sie eines Pfeils bedurft? Flammen, die vom Himmel herablodern, hätten ihr ebenso gedient und ihre Macht eindrucksvoller bewiesen. Nein, Vater Prior, dieser Mann wurde ermordet. Menschenhände haben den Bogen gespannt und diesen Pfeil abgeschossen, getrieben von menschlichen Motiven. Offenbar grollen ihm noch andere - nicht nur Winifred -, andere Leute, deren Plänen er im Wege stand. Warum willst du die Heilige für diesen Mord verantwortlich machen?«
    Cadfael übersetzte diese Worte, deren protestierenden Ton der Prior zwar gehört, deren Sinn er aber nicht verstanden hatte, ins Englische. »Der junge Mann hat recht«, fügte Cadfael hinzu. »Dieser Pfeil ist nicht vom Himmel herabgeflogen, er kam aus irdischen Gefilden. Sieh doch, in welchem Winkel er aus Rhisiarts Brust ragt! Der Schütze muß sich im Gebüsch versteckt haben.«
    »Rächende Heilige benützen auch irdische Instrumente«, wandte Prior Robert in kühlem Ton ein.
    »Dann ist das Instrument trotzdem ein Mörder«, erwiderte Cadfael. »Auch in Wales gibt es Gesetze. Wir müssen den Amtmann

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