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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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gehütet hatte, auf so grausame Weise ausgeschaltet worden war. »Er hatte keinen so triftigen Grund wie du, Vater Prior! Alle Leute in dieser Gemeinde wissen, wie versessen du auf die heilige Winifred bist, die deinem Kloster und vor allem dir persönlich zu Ruhm und Glanz verhelfen soll. Wer außer meinem Vater stand dir im Wege? Dir - und nicht der Heiligen! Nenne mir doch ein besseres Mordmotiv. In all diesen Jahren hätte keiner auch nur im Traum daran gedacht, ihm etwas anzutun - bis du kamst, um Winifreds Reliquien zu beanspruchen. Engelards Meinungsverschiedenheit mit meinem Vater bestand schon eine ganze Weile, war allgemein bekannt und wurde verstanden - deine war neu und viel akuter. Unsere Angelegenheit konnte warten, denn wir sind beide noch jung. Aber dein Anliegen konnte nicht warten. Und wer wußte besser als du, wann mein Vater durch den Wald nach Gwytherin gehen würde? Oder daß er sich niemals anders besonnen hätte?«
    Vergeblich hatte der entsetzte Vater Huw versucht, sie zum Schweigen zu bri ngen. »Kind, Kind - du darfst den verehrten Prior nicht einer so furchtbaren Tat beschuldigen - das ist eine schwere Sünde.«
    »Ich stelle nur Tatsachen fest, und die sprechen für sich«, entgegnete Sioned. »Was soll daran sündhaft sein? Prior Robert mag Tatsachen hervorheben, die ihm Vorteile verschaffen, ich weise auf andere hin, die ihn weniger begünstigen. Mein Vater war das einzige Hindernis auf dem Weg des Priors - und er wurde beiseite geräumt.«
    »Mein Kind, alle in diesem Tal wußten, daß dein Vater heute mittag bei mir eingeladen war, und den Wald, durch den er ging, kennen sie viel besser als diese guten Brüder aus Shrewsbury. Es ist immerhin möglich, daß noch jemand einen Groll gegen Rhisiart hegte und die Gelegenheit nutzte. Außerdem muß ich dir sagen, daß ich seit der Morgenmesse mit Prior Robert, Bruder Rchard und Bruder Cadfael zusammen bin.« Händeringend wandte sich Huw an Robert. »Verehrter Prior, ich flehe dich an, zürne dem Mädchen nicht. Sioned weiß nicht, was sie sagt. Sie hat ihren Vater verloren und ist verzweifelt... Kein Wunder, daß sie uns alle angreift...«
    »Ich mache ihr keinen Vorwurf«, entgegnete Robert kühl. »Vermutlich hat sie einen Verdacht gegen mich und meine Gefährten geäußert, aber ich nehme an, daß du sie zurechtgewiesen hast. Sag ihr, daß du für mich Zeugnis ablegen kannst, da du dich den ganzen Tag in meiner Gesellschaft befunden hast.«
    Huw wandte sich wieder zu Sioned, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Erfüllt von dem unwiderstehlichen Drang, den Prior direkt zu konfrontieren, ohne die störende Intervention eines Dolmetschers, vergaß sie alle Zurückhaltung und rief in fehlerfreiem Englisch: »Da magst du recht haben, Vater Prior, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß du ein guter Bogenschütze bist! Aber einem Mann, der die Fügsamkeit meines Vaters kaufen wollte, wäre auch zuzutrauen, daß er jemanden gekauft hat, der bereit war, ihm die schmutzige Arbeit abzunehmen. Du hattest immer noch den Beutel, den Rhisiart zurückgewiesen hat!«
    »Vorsicht, mein Kind!« donnerte Robert, an die Grenzen seiner Geduld getrieben. »Willst du dein Seelenheil verwirken? Bis jetzt war ich gewillt, Nachsicht zu üben, weil du einen so schweren Verlust erlitten hast - aber das geht wirklich zu weit!«
    Feindselig starrten sie sich an - der große hochmütige bleiche Mönch und das schöne Mädchen mit den blitzenden Augen, das sein Kopftuch längst verloren hatte. Aus ihrer Zopfkrone hatten sich einige Strähnen gelöst und fielen nun auf die schmalen Schultern. Bevor Sioned neue Beschuldigungen hervorstoßen oder Robert die ewige Verdammnis ihrer Seele prophezeien konnte, näherten sich Stimmen im Wald oberhalb der Lichtung, eine weibliche und eine männliche Stimme, in erregtem Wortwechsel. Zweige knackten unter eiligen Schritten. Offenbar hatten die beiden die Geräusche der vielen Menschen gehört, die sich auf der Lichtung versammelt hatten, und rannten nun herbei, um zu sehen, was hier geschah.
    Sioned erkannte die Stimmen. Angst und Verzweiflung überschatteten ihr Gesicht. Hastig sah sie sich um, aber es gab keine Rettung. Ein Mädchen teilte die Büsche am Rand der Lichtung, an dem schmalen Durchgang, durch den die Abkürzung führte, und dann tauchte Annest auf und starrte verwirrt auf die dichtgedrängte Schar. Sioned nutzte die Verblüffung des Mädchens. »Geh nach Hause zurück, Annest. Ich komme gleich nach mit

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