Im Namen der Heiligen
meines Vaters verspricht - aber es steht einwandfrei fest, daß er Engelard als Mörder hinstellen will. Wer kann das nur sein, Bruder Cadfael?«
»Das werden wir beide mit Gottes Hilfe herausfinden. Im Augenblick kann ich nicht einmal Vermutungen anstellen. Doch du hast mir einen wichtigen Hinweis gegeben. Viele Leute glauben, daß sich ein Mordopfer gegen die Berührung seines Mörders wehrt, indem es von neuem zu bluten beginnt. Und nachdem Rhisiart uns so viel verraten hat, wird er möglicherweise auch noch das letzte Geheimnis enthüllen.«
Er erzählte ihr noch von Prior Roberts Entschluß, mit seinen Mönchen drei weitere Tage und Nächte in Gwytherin zu bleiben, um in der Heiligenkapelle Vigilien abzuhalten, an denen auch Vater Huw teilnehmen würde. Doch er verschwieg, daß Bruder Columbanus - unbeabsichtigt und getrieben von seinen Gewissensbissen - dem Kreis der Männer, die eine Möglichkeit gehabt hätten, Rhisiart im Wald aufzulauern, einen weiteren hinzugefügt hatte. Er erwähnte auch nicht, daß das Ergebnis seiner soeben vorgenommenen Untersuchung Columbanus' Eröffnungen eine zusätzliche Bedeutung verlieh. Er hätte sich nicht vorstellen können, daß Jerome mit Pfeil und Bogen aufgebrochen war, um Jagd auf Rhisiart zu machen. Aber Jerome, der in einem Gebüsch auf der Lauer lag, um sich hinter dem Rücken eines Mannes anzuschleichen, einen Dolch in der Hand...
Vergeblich versuchte Cadfael diesen Gedanken zu verdrängen, der ihm ganz und gar nicht gefiel. Bedauerlicherweise mußte man mit einer solchen Möglichkeit rechnen...
»Heute nacht und in den beiden folgenden Nächten werden zwei von uns in Winifreds Kapelle wachen und beten, von der Komplet bis zur Morgenmesse. Ich glaube, danach werden wir klüger sein. Und nun will ich dir sagen, was du zu tun hast... «
7.
Nach der Komplet gingen sie alle sechs zu der Holzkapelle im einsamen Friedhof, im sanften Licht der letzten Sonnenstrahlen, die zwischen den jungen Blättern hindurchdrangen. Das erste Pilgerpaar wurde zur Vigilie begleitet.
Und auf der Lichtung vor der Friedhofstür kam ihnen eine andere Prozession aus der Richtung des Waldes entgegen. Acht von Rhisiarts Männern trugen eine Bahre mit ihrem toten Herrn auf den Schultern, angeführt von seiner Tochter, die würdevoll und hoch aufgerichtet vor ihnen schritt, in einem dunklen Kleid, den Kopf von einem grauen Schleier bedeckt, unter dem sie das lange Haar zum Zeichen ihrer Trauer offen trug. Ihr Gesicht war ruhig und gefaßt, ihre Augen schienen in weite Fernen zu schauen. Sie hätte jeden Mann einschüchtern können - sogar einen Prior. Robert blieb unwillkürlich stehen bei ihrem Anblick, und Cadfael war stolz auf sie.
Sioned schreckte nicht vor Robert zurück - im Gegenteil, sie setzte ihren Weg noch entschlossener fort, mit noch energischeren Schritten. Drei Meter vor ihm blieb sie stehen, so ruhig, daß er ihre Haltung als Unterwürfigkeit hätte mißdeuten können, wäre er dumm gewesen. Doch er war nicht dumm. Schweigend musterte er sie - eine Frau, ein junges Mädchen, das gekommen war, um ihn herauszufordern. Aber noch weigerte er sich, sie als ebenbürtige Gegnerin anzuerkennen.
»Bruder Cadfael«, sagte sie, ohne Robert aus den Augen zu lassen, »bitte, erkläre dem verehrten Prior, daß ich eine Bitte an ihn habe, um meines Vaters willen.«
Hinter ihr lag Rhisiart - nicht in einem Sarg, sondern auf einer Bahre aus Zweigen - in weißes Leinen gehüllt, unter dem sich die Umrisse seines Körpers abzeichneten. Und die dunklen geheimnisvollen Augen der Waliser, die ihn trugen, glühten wie kleine Lampen rings um einen Katafalk - gaben nichts preis, sahen alles. Das Mädchen war so jung - wirkte so einsam. Trotz seiner gesicherten Position fühlte sich der Prior unbehaglich, vielleicht war er sogar gerührt. »Sprich deine Bitte aus, meine Tochter«, forderte er sie auf.
»Ich habe gehört, daß ihr drei Nächte lang in dieser Kapelle wachen und zur heiligen Winifred beten wollt, bevor ihr sie nach Shrewsbury bringt. Und nun bitte ich euch, mir einen Wunsch zu erfüllen, dem Seelenheil meines Vaters zuliebe, der euch gekränkt hat, was nie in seiner Absicht lag. Erlaubt mir, die Bahre mit seinen sterblichen Überresten für drei Nächte vor den Altar zu stellen und ihn der Obhut derer anzuvertrauen, die hier wachen werden. Und ich ersuche sie, in jeder dieser Nächte auch ein Gebet für seine Seele zu sprechen - nur ein einziges Gebet, in einer langen Nacht.
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