Im Namen der Heiligen
ebenso entsetzt über sein Vergehen wie er selbst?«
»Nein - seltsamerweise nicht«, erwiderte Sioned. »In jenem kurzen Augenblick, wo ich ihn für den Mörder hielt, fühlte ich mich elend. Und danach war ich einfach nur erleichtert, weil er nicht der Schuldige ist. Irgendwie kann ich ihn verstehen. Er hat immer alles bekommen, was er wollte - nur mich nicht.«
»Es war sein innigster Herzenswunsch, dich zu gewinnen«, sagte Cadfael und erinnerte sich an eigene längst erloschene Begierden. »Ich bezweifle, daß er jemals darüber hinwegkommen wird. Aber er wird sicher eine brave Frau finden, hübsche Kinder zeugen und ein zufriedenes Leben führen. Eines Tages ist er sicher erwachsen. Er wird seine Frau glücklich machen - wer immer das auch sein mag. Jedenfalls wird sie nicht Sioned heißen.«
Ihr müdes, trauriges, entmutigtes Gesicht hatte sich ein wenig aufgehellt, und plötzlich lächelte sie - ganz schwach nur, aber zuversichtlich. »Du bist ein guter Mann, und du verstehst es, die Menschen miteinander zu versöhnen. Aber in diesem Fall ist das nicht nötig. Glaubst du, ich hätte nicht gesehen, wie schmerzlich es für ihn war, heute nachmittag zum Begräbnis zu kommen, wie hoch er den Kopf erhoben hat, um seine Strafe entgegenzunehmen? Vielleicht würde ich ihn ein wenig lieben, wenn es keinen Engelard gäbe. Aber nur ein ganz klein wenig. Und er hat was Besseres verdient.«
»Du bist ein liebes Mädchen. Wenn ich dir vor dreißig Jahren begegnet wäre, hätte sich Engelard ganz schön anstrengen müssen, um dich zu gewinnen. Peredur sollte dankbar sein, daß er eine solche Schwester hat. Aber - was uns am allermeisten interessiert, wissen wir immer noch nicht.«
»Haben wir noch Fallstricke? Mit dem letzten haben wir zumindest eine arme Seele von ihrer Bürde erlöst.«
Er schwieg, in tiefe Gedanken versunken.
»Und morgen wird Prior Robert mit seiner Heiligen und seinen Brüdern abreisen - und du wirst mit ihnen gehen«, fuhr sie traurig fort. »Dann werde ich niemanden mehr haben, an den ich mich wenden kann. Vater Huw ist selbst ein halber Heiliger auf seine naive, leicht verwirrte Art. Er kann mir nicht helfen. Und Onkel Maurice ist ein guter Mann, der es versteht, ein Landgut zu verwalten, aber sonst weiß er nichts, und er will immer allen Mühen und Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Und Engelard muß sich weiterhin verstecken, wie du sicher weißt. Es nützt ihm nichts, daß Peredurs Intrige nun allgemein bekannt ist, denn damit ist Engelards Unschuld nicht erwiesen. Er könnte meinen Vater - nach einem erbitterten Streit - erstochen haben.«
»Hinterrücks?« fragte Cadfael ärgerlich.
Sie lächelte. »Das beweist nur, daß du ihn kennst. Nicht jeder kennt ihn. Manche sagen vielleicht, daß Peredur, ohne es zu ahnen, den Verdacht auf den wahren Täter gelenkt hat.«
Bedrückt runzelte er die Stirn, denn sie hatte zweifellos recht. Was bewies es schon, wenn man von einem anderen als der Schuldige hingestellt wurde. Jedenfalls nicht, daß man schuldlos war. Bruder Cadfael machte sich wieder einmal die Verantwortung bewußt, die er freiwillig auf sich genommen hatte, und wappnete sich, um ihr gerecht zu werden.
»Du mußt auch an Bruder John denken«, ermahnte ihn Sioned. Es war durchaus möglich, daß Annest, die hinter ihr ging, sie angestoßen hatte.
»Ich habe ihn nicht vergessen«, entgegnete Cadfael.
»Aber der Amtmann hat ihn vielleicht vergessen. Wenn Bruder John mit euch abreisen würde, schließt Rhys sicher die Augen oder schaut in die andere Richtung. Er hat genug andere Sorgen - warum sollte er sich auch mit den Problemen ausländischer Mönche belasten?«
»Und wenn Bruder John scheinbar nach Shrewsbury zurückgekehrt wäre, würde sich der Amtmann zufrieden geben? Er würde nicht nach irgendwelchen weiteren Ausländern fragen, die hier Aufnahme gefunden haben?«
»Ich wußte immer, daß du eine rasche Auffassungsgabe hast«, erwiderte Sioned strahlend und war beinahe wieder das temperamentvolle Mädchen, das er an jenem ersten Abend in Gwytherin kennengelernt hatte. »Aber würde Prior Robert ihn immer noch verfolgen, wenn er erfährt, das er aus der Haft entlassen wurde? Ich glaube nicht, daß er ein nachsichtiger Mensch ist.«
»Nein, das ist er nicht, aber was sollte er tun? Der Benediktinerorden hat keine Rechte in Wales. Nein, ich denke, er würde die Sache auf sich beruhen lassen, nachdem er bekommen hat, was er wollte. Um Engelard mache ich mir viel mehr Sorgen.
Weitere Kostenlose Bücher