Im Namen der Heiligen
würdig erachtete, möge sie ihn noch heute nacht aus dieser Welt holen und von seiner sterblichen Hülle befreien. Nun, sein Wunsch wurde erfüllt! Vielleicht hätte er seine Bitte widerrufen, hätte er geahnt, daß man sie so wörtlich nehmen würde. Denn mit seinem
Gebet bezweckte er nichts weiter, als sein Haupt in eine unvergleichliche Glorie zu hüllen, die er natürlich lebend genießen wollte. Doch eine Heilige konnte mit Recht annehmen, daß ein Anbeter auch meinte, was er sagte, und ihn mit einem entsprechenden Gnadengeschenk belohnen. Und wenn Winifred wirklich mit Sioneds Stimme gesprochen hat - und wer bin ich schon, um daran zweifeln zu dürfen? -, wenn sie tatsächlich hier in ihrem Dorf bleiben will, was ein vernünftiger Wunsch wäre... Nun, das Grab, in dem sie ruhte, wurde erst am vergangenen Tag geöffnet, und niemand würde was merken, wenn man die Erde in dieser Nacht von neuem aufgrub...
Sioned beobachtete ihn. »Ich glaube, du hast einen Weg gefunden.«
»Unseren Weg«, verbesserte Cadfael. »Sioned, ich habe einen Auftrag für dich. Du brauchst dich nicht zu beeilen. Wir haben hier eine ganze Menge zu tun, während du weg bist. Nimm diese Tücher und breite sie unter den Hagedornhecken aus, dann schüttle die Zweige, damit die Blütenblätter herabfallen. Als die heilige Winifred das letztemal vor Columbanus' Angesicht erschien, verströmte sie einen süßen Duft und schwebte in einem Regen aus weißen Blüten.«
Sie wußte nicht, was er bezweckte, doch sie vertraute auf seine Pläne, und so nahm sie das Tuch, in das sie sich zuvor gehüllt hatte, und verließ die Kapelle.
Cadfael griff nach dem Dolch, den Sioned in den Büschen gefunden hatte. Er wischte die Klinge mit dem Schleier ab, den Columbanus ihr vom Kopf gerissen hatte, und stellte die Kerzen so auf, daß ihr Licht auf die großen roten Siegel fiel, die Winifreds Schrein verschlossen. »Gott sei Dank hat er nicht geblutet. Seine Kutte ist unbefleckt und unversehrt. Zieh ihn aus, Engelard!«
Er betastete ein Siegel, nickte zufrieden, als er feststellte, daß es sehr dünn war, dann hielt er den Dolch in die Flamme der Öllampe.
Lange bevor der Morgen graute, war das Werk vollbracht. Sie gingen alle drei zum Dorf hinab und blieben am Waldrand stehen, wo der kürzeste Weg zu Rhisiarts Gehöft hinaufführte. Sioned nahm das blutbefleckte Tuch und den Schleier mit sich, den sie getragen hatte. Die Scherben der Phiole hatten sie im Wald vergraben. Ein Glück, daß Rhisiarts Diener nach dem Begräbnis ihre Spaten auf dem Friedhof zurückgelassen hatten, weil sie den Grabhügel am nächsten Morgen glattstreichen wollten...
Das hatte Cadfael und seinen beiden Helfern sowohl die Mühe als auch die Zeit erspart, die es gekostet hätte, irgendwo einen Spaten auszuleihen.
»Es wird keinen Skandal geben«, meinte der Mönch, als sie an der Stelle stehenblieben, wo sich ihre Wege trennen würden. »Und niemand wird Anklage erheben. Ich denke, er kann mit dir nach Hause gehen, Sioned. Aber er muß sich bis zu unserer Abreise verstecken. Wenn wir von hier verschwunden sind, wird wieder Frieden in Gwytherin herrschen. Du brauchst nicht zu befürchten, daß der Prinz oder der Amtmann rechtliche Schritte gegen Engelard und John unternehmen werden. Ich werde Peredur was ins Ohr flüstern, Peredur wird es dem Amtmann zuflüstern, und der Amtmann wird es Owain Gwynedd zuflüstern. Den guten Vater Huw halten wir aus allem heraus, wir wollen das Gewissen dieses guten, einfachen Mannes nicht belasten. Und wenn die Mönche von Shrewsbury glücklich sind und die Leute von Gwytherin glücklich sind - denn sie werden das Geflüster bald hören -, warum sollte irgend jemand diesen gesegneten Zustand stören, indem er jene geflüsterten Worte laut ausspricht? Ein weiser Prinz - und Owain scheint ungemein weise zu sein - wird die Dinge auf sich beruhen lassen.«
Sioned erschauerte. »Morgen wird ganz Gwytherin zusehen, wie ihr das Reliquiar davontragt... «
»Um so besser - wir brauchen möglichst viele Zeugen und möglichst viel Wirbel. Ich bin ein großer Sünder«, meinte Cadfael philosophisch, »aber ich fühle mich nicht schuldig. Der Zweck heiligt die Mittel, nicht wahr?«
»Eins weiß ich jedenfalls«, sagte Sioned. »Mein Vater kann jetzt in Frieden ruhen, und das hat er dir zu verdanken. Auch für mich hast du unendlich viel getan. Als ich dich das erstemal sah - damals, als ich aus der Eiche herabsprang, erinnerst du dich -, da dachte ich, du
Weitere Kostenlose Bücher