Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
leichter aufzuspüren.«
»Scheißpolizei!«, zischte ein anderer. Er stand in der Mitte, links und rechts von ihm zwei Adjutanten.
Der Anführer.
»Polizei, ganz recht«, entgegnete sie. »Zehn Minuten in Craigmillar auf der Wache, und ich weiß mehr über dich als deine eigene Mutter.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, zeigte sie mit dem Finger auf ihn, aber er schnaubte nur verächtlich. Obwohl sein Gesicht nur zu einem Drittel sichtbar war, würde sie es im Gedächtnis behalten. Ein Auto mit drei Insassen hielt an. Siobhan erkannte den Mann auf dem Rücksitz: ein Stadtrat von hier.
»Verschwindet!«, brüllte er, während er ausstieg und mit den Armen fuchtelte, als triebe er Schafe zurück in ihren Pferch. Der Anführer der Bande tat, als zitterte er, erkannte aber, dass seine Kampfgenossen tatsächlich ins Wanken gerieten. Ein halbes Dutzend Sicherheitsbeamte mit dem bärtigen Wachmann an der Spitze waren hinter dem Zaun aufgetaucht. In der Ferne hörte man Sirenen, die näherkamen.
»Los jetzt, haut ab!«, befahl der Councillor.
»Lauter Lesben und Schwule in dem Lager«, knurrte der Anführer zurück. »Und wer zahlt das alles, hä?«
»Du garantiert nicht, mein Sohn«, erwiderte der Councillor. Er wurde jetzt von den beiden anderen Männern aus dem Auto flankiert. Sie waren kräftig gebaut und in ihrem Leben wahrscheinlich keinem Kampf aus dem Weg gegangen. Genau die Art von Meinungsforschern, die ein Politiker in Niddrie brauchte.
Der Anführer der Bande spuckte auf den Boden, drehte sich dann um und stiefelte davon.
»Danke«, sagte Siobhan und reichte dem Stadtrat die Hand.
»Kein Problem«, antwortete der, schien aber den ganzen Vorfall, Siobhan eingeschlossen, schon vergessen zu haben. Er schüttelte jetzt dem bärtigen Sicherheitsbeamten die Hand; die beiden kannten sich offenbar.
»Ansonsten eine ruhige Nacht?«, fragte der Councillor. Statt einer Antwort lachte der Wachmann leise.
»Können wir sonst was für Sie tun, Mr. Tench?«
Stadtrat Tench schaute sich um. »Dachte, ich schau mal vorbei und lasse all die netten Leute hier wissen, dass mein Stadtbezirk fest hinter ihrem Kampf zur Beendigung von Armut und Ungerechtigkeit in der Welt steht.« Er hatte jetzt ein Publikum: Ungefähr fünfzig Camper standen auf der anderen Seite der Umzäunung. »Wir in diesem Teil von Edinburgh kennen beides«, brüllte er, »was aber nicht bedeutet, dass wir keine Zeit für die haben, die noch schlechter dran sind als wir! Ich möchte sagen, wir haben ein großes Herz!« Er sah, dass Siobhan den Schaden an ihrem Auto in Augenschein nahm. »Natürlich haben wir auch ein paar Verrückte hier, aber in welcher Gemeinschaft gibt’s die nicht?« Lächelnd breitete Tench die Arme wieder aus, diesmal wie ein Pech- und Schwefelprediger.
»Willkommen in Niddrie!«, sagte er an seine Gemeinde gewandt. »Willkommen alle ohne Ausnahme!«
Rebus war allein in den CID-Räumen. Er hatte eine halbe Stunde gebraucht, bis er die Ermittlungsakten fand: vier Kisten und eine Reihe Aktenordner; Floppydisks und eine einzelne CD-ROM. Letztere hatte er auf dem Regal im Lagerraum liegen lassen, während einige der Papiere jetzt vor ihm ausgebreitet lagen. Er hatte Posteingangskörbe und Computertastaturen beiseitegeschoben und sie auf den sechs unbesetzten Schreibtischen verteilt. Wenn er nun durch den Raum ging, konnte er zwischen den verschiedenen Ermittlungsstadien wechseln: Tatort und erste Vernehmungen; Opferprofil und weitere Vernehmungen; Gefängnisbericht; Verbindung zu Cafferty; Berichte von Gerichtsmedizinern und Toxikologen … Das Telefon im Kabuff des DI hatte ein paarmal geklingelt, aber Rebus ignorierte es. Nicht er war hier der ranghöchste DI, sondern Derek Starr. Und das kriecherische kleine Arschloch hielt sich, wie immer freitagabends, irgendwo in der Stadt auf. Rebus kannte Starrs Ausgehgewohnheiten, denn der teilte sie jeden Montagmorgen sämtlichen Anwesenden mit: erst ein paar Drinks im Hallion Club, dann vielleicht nach Hause zum Duschen und Umziehen, bevor er sich wieder in die Stadt aufmachte; zurück in den Hallion Club, wenn dort was los war, danach aber auf jeden Fall in die George Street – Opal Lounge, Candy Bar, Living Room. Schlaftrunk im IndigoYard, falls er nicht schon vorher »einen Treffer gelandet« hatte. Auf der Queen Street machte demnächst ein neues Jazzlokal auf, das Jools Holland gehörte. Starr hatte bereits Erkundigungen über die Mitgliedschaft eingeholt.
Wieder
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