Im Namen der Toten - Rankin, I: Im Namen der Toten - The Naming of the Dead
allen möglichen kriminellen Unternehmungen: Massagesalons und Schutzgelderpressung, Einschüchterung und nackte Gewalt. Auch im Drogenhandel, was ihm Zugang zu Heroin verschaffen würde. Und wenn nicht ihm persönlich, dann ganz sicher Colliars Rausschmeißerkollegen. Es war durchaus üblich, dass Klubs geschlossen wurden, wenn sich herausstellte, dass die sogenannten Türsteher das Einschleusen von Rauschgift in die Etablissements kontrollierten. Jeder von ihnen hätte den Entschluss fassen können, sich der »Sexbestie« zu entledigen. Es hätte sogar persönliche Hintergründe geben können: eine verächtliche Bemerkung; die Beleidigung einer Freundin. Die vielen verschiedenen Motive waren des Langen und Breiten untersucht worden. Oberflächlich betrachtet also eine Ermittlung nach Vorschrift. Etwas anderes zu behaupten wäre falsch. Nur … Rebus erkannte, dass das Team sich dem Fall nur halbherzig gewidmet hatte. Hier und da waren Fragen nicht gestellt, Wege nicht beschritten, Aufzeichnungen schlampig abgetippt worden. Dinge, die nur jemandem ins Auge stachen, der näher mit dem Fall befasst war. Überall hatte es ein wenig an Bemühen gefehlt, gerade so viel, dass man sehen konnte, was die Beamten wirklich von ihrem »Opfer« hielten.
Die Gerichtsmedizin hingegen hatte gewissenhaft gearbeitet. Professor Gates hatte es bereits gesagt: Ihm war egal, wer auf seinem Labortisch lag. Es waren alles Menschen, Tochter oder Sohn von irgendjemandem.
»Niemand kommt als böser Mensch zur Welt, John«, hatte er, über sein Skalpell gebeugt, gemurmelt.
»Es bringt sie aber auch niemand anderes dazu, böse Dinge zu tun«, hatte Rebus erwidert.
»Ah«, hatte Gates eingeräumt. »Ein Rätsel, über das sich klügere Männer als wir durch die Jahrhunderte hindurch die Köpfe zerbrochen haben. Warum tun wir einander immer und immer wieder so schreckliche Dinge an?«
Eine Antwort hatte er nicht parat gehabt. Aber etwas anderes, worauf er hingewiesen hatte, fiel Rebus wieder ein, als er zu Siobhans Schreibtisch weiterging und eins der Obduktionsfotos von Colliar in die Hand nahm. Im Tod kehren wir alle zur Unschuld zurück, John … Tatsächlich wirkte Colliars Gesicht friedlich, als wäre dieser Eindruck nie durch irgendetwas gestört worden.
Wieder klingelte das Telefon in Starrs Büro. Rebus ließ es klingeln und hob stattdessen Siobhans Nebenapparat ab. Seitlich an ihrem Festplattenlaufwerk klebte ein Haftzettel mit reihenweise Namen und Telefonnummern. Er versuchte es gar nicht erst im Labor, sondern tippte gleich die Handynummer ein.
Und fast im selben Moment hob Ray Duff ab.
»Ray? DI Rebus.«
»Mit einer Einladung zur Freitagabendsauftour?« Rebus’ Schweigen wurde mit einem Seufzer beantwortet. »Warum bin ich nicht überrascht?«
»Sie überraschen mich, Ray, drücken sich vor der Arbeit …«
»Ich schlafe doch nicht im Labor.«
»Wenn das nicht gelogen ist.«
»Also gut, gelegentlich arbeite ich auch nachts …«
»Genau das gefällt mir an Ihnen, Ray. Wir sind doch beide von dieser Leidenschaft für unseren Beruf getrieben.«
»Eine Leidenschaft, die ich aufs Spiel setze, indem ich mich beim Quizabend meines hiesigen Stammlokals blicken lasse?«
»Darüber maße ich mir kein Urteil an, Ray. Ich habe mich nur gefragt, wie es wohl mit diesem neuen Beweisstück im Fall Colliar aussieht.«
Rebus hörte ein müdes Kichern am anderen Ende der Leitung. »Sie geben aber auch nie Ruhe, was?«
»Es ist nicht für mich, Ray. Ich helfe nur Siobhan. Für sie könnte es einen großen Schritt nach vorn bedeuten, wenn sie das hier schafft. Sie hat das Stück Stoff gefunden.«
»Das Beweisstück ist erst vor drei Stunden reingekommen.«
»Schon mal gehört, dass man Eisen schmieden soll, solange es heiß ist?«
»Aber das Bier, das hier vor mir steht, ist kalt, John.«
»Es würde Siobhan eine Menge bedeuten. Sie freut sich schon darauf, wenn Sie sich die Belohnung holen.«
»Was für eine Belohnung?«
»Die Gelegenheit, Ihr Auto vorzuführen. Ein Tag draußen auf dem Land, nur Sie beide auf diesen gewundenen Straßen. Wer weiß, vielleicht am Ende sogar ein Hotelzimmer, wenn Sie es richtig anpacken.« Rebus hielt inne. »Was ist das für Musik?«
»Eine der Quizfragen.«
»Klingt nach Steely Dan. ›Reeling in the Years‹.«
»Und wie ist die Band zu ihrem Namen gekommen?«
»Ein Dildo in einem Roman von William Burroughs. Jetzt müssen Sie mir aber versprechen, gleich anschließend ins Labor zu gehen
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