Im Namen des Kreuzes
auf dem Weg nach Untermenzing. Eva hatte es vorgezogen, in seiner Wohnung zu bleiben, um den Laptop noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Sie wusste zwar, dass Matthias Sass vor seinem Suizid sämtliche Mails gelöscht hatte, hoffte aber, doch noch Datenreste zu finden.
Es begann wieder zu regnen.
Das darf nicht wahr sein, dachte Schwarz, muss man jetzt schon mitten im August immer eine Regenjacke dabeihaben? Die Luft war warm und dampfig, Nebelfetzen hingen über den Büschen an der Würm, die Wiesen standen unter Wasser wie in einer tropischen Sumpflandschaft. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn plötzlich Kraniche oder Papageien aufgeflogen wären.
Vielleicht liegt Untermenzing längst am Amazonas, dachte Schwarz, und wir Eingeborenen haben es nur noch nicht bemerkt.
Doch der immer stärker werdende Regen ließ die Temperatur rasch fallen und vertrieb alle Dschungelträume. Untermenzing lag weiter im Einflussbereich des feuchtkalten Atlantikklimas und gehörte zu den gewitterintensivsten Zonen Deutschlands. Schwarz wischte sich mit dem Ärmel die Tropfen aus dem Gesicht.
Im Biergarten an der Inselmühle waren große Schirme aufgespannt, in der Grillstation drehten sich noch sehr blasse Hähnchen am Spieß, aber vereinzelt saßen schon Gäste beim Morgenbier. Der Alkohol mache ihn undeutlich , hatte Eva ihm gestern vorgeworfen. Da sollte sie mal die einsamen Trinker hier mit ihren aufgedunsenen Gesichtern sehen. Im Vergleich zu ihnen war er geradezu unheimlich präzise. Selbst nach dem dritten Bier.
Als Schwarz endlich den Pfarrhof von St. Meinrad erreichte, war er nass bis auf die Haut und schlotterte vor Kälte. Er lehnte sein Rad an den Schuppen neben der alten Walmdachvilla und klingelte. Es dauerte eine Weile, bis eine etwa sechzigjährige korpulente Frau die Tür öffnete.
»Grüß Gott?«
»Grüß Gott. Ich heiße Anton Schwarz. Sind Sie Frau Kammer? Frau Sass hat mir Ihren Namen genannt.«
Sie nickte. »Kommen Sie rein, Sie sind ja klatschnass.«
»Nein, ich mache Ihnen ja alles schmutzig. Können wir vielleicht einen Termin ausmachen?«
Sie schüttelte resolut den Kopf. »Sie holen sich doch den Tod. Wir haben ein Gästebad, und was Trockenes zum Anziehen finde ich auch für Sie.«
Schwarz zögerte.
»Jetzt lassen sie sich nicht so bitten. Wir sind ein katholischer Pfarrhof – bei uns haben schon ganz andere Obdach gefunden.«
Unter der heißen Dusche erreichte Schwarz rasch wieder Normaltemperatur. Die schwer gängigen Armaturen waren dieselben wie im Haus seiner Mutter in Waldram und stammten wohl aus den Fünfzigerjahren.
Über einem wuchtigen Heizkörper hing frische Kleidung. Sie passte ihm ziemlich gut, allerdings nur von den Maßen her. Sonst wirkte Schwarz in dem dunkelblauen Rollkragenpullover und der schwarzen Cordhose, die ein polnischer Aushilfspriester hier vergessen hatte, doch sehr pastoral. Aber vielleicht war es in diesem Aufzug ja einfacher, Frau Kammers Vertrauen zu gewinnen.
Die Haushälterin hatte inzwischen Kaffee gemacht und einen Teller mit Gebäck bereitgestellt.
»Ich begreife es noch gar nicht«, sagte sie, »ich denke immer, im nächsten Moment kommt er zur Tür herein.«
Schwarz nickte mitfühlend.
»Sie sind Privatermittler, haben Sie gesagt?«
»Ja, Frau Sass hat mich engagiert.«
»Und was sollen Sie rausfinden?«
Schwarz überlegte kurz und entschied sich dann, seine wahren Absichten hinter einem leichten bürokratischen Nebel zu verbergen. »Es ist so, dass die Polizei bei Suizidfällen lediglich daran interessiert ist, die Beteiligung Dritter auszuschließen. Für Angehörige und Freunde hingegen ist meistens die Frage nach dem Motiv wichtiger.«
»Dieser Kommissar …«
»Buchrieser?«
»Genau, der hat sich für gar nichts interessiert, wenn Sie mich fragen.«
Schwarz verkniff sich einen Kommentar zu dem ehemaligen Kollegen, der mit jedem Fall lethargischer zu werden schien.
Der Kaffee war dünn, hatte einen leicht malzigen Nachgeschmack und erinnerte ihn an seine Kindheit.
»Sehen Sie sich denn schon in der Lage, mir einige Fragen zu beantworten, Frau Kammer?«
Sie nickte. »Wenn Sie mich, bitte, kurz durchschnaufen lassen. Seit der schrecklichen Nachricht gestern habe ich keine Minute Ruhe gehabt. Erst waren die Polizei und die Presse im Haus, dann der Dekan Wels, und zuletzt ist auch noch die Schwester vom Herrn Pfarrer aufgetaucht, die sich in all den Jahren nicht ein einziges Mal hat blicken lassen.« Sie deutete auf das
Weitere Kostenlose Bücher