Im Namen des Kreuzes
beim Joggen überfallen und grausam umgebracht worden.«
Schickingers Miene verriet blankes Entsetzen. Er wandte sich ab und versuchte, seine Emotionen zu kontrollieren.
»Für wen arbeiten Sie, Herr Schwarz?«
»Ursprünglich für die Mutter eines Jungen, der ein paar Mal mit den Menzinger Ministranten hier war. Er hat sich vor einen Zug geworfen. Aber die Frau hat es sich anders überlegt und den Auftrag zurückgezogen.«
»Und jetzt?«
»Jetzt will ich es selbst wissen.«
»Sind Sie auch kein Jude?«
»Ja, nein … also, meine Mutter ist Jüdin.«
»Dann sind Sie einer.«
Der Priester schwieg. Schwarz konnte sehen, wie er mit sich rang.
Hatte er Angst, dass es ihm genauso erging wie seinen Kollegen?
»Sie können mir wirklich vertrauen, Herr Pfarrer.«
»Das hat dieser Sonderermittler auch gesagt.«
»Gut, dass Sie nicht mit ihm gesprochen haben. Er ist ein Militia -Mann.«
Schickinger sah auf und suchte seinen Blick.
»Ich habe den Schneider Anselm im Studium kennengelernt und gleich gemerkt, dass mit ihm was nicht stimmt. Wenn er im Hörsaal aus Versehen zwischen zwei Studentinnen gelandet ist, hat er sich weggesetzt. Es hat gereicht, dass ein Professor das Thema Sexualität auch nur gestreift hat, da ist der Anselm schon dunkelrot angelaufen wie ein Schulbub. Jeder, der nicht völlig blind war, hat merken müssen, dass er ein Problem hat, ein riesengroßes Problem sogar. Trotzdem ist er gleich in seiner ersten Gemeinde mit der Jugendarbeit betraut worden.«
Er schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben.
»Es hat kaum ein Jahr gedauert, da hat er einen Zehnjährigen zum Beichten zu sich nach Hause bestellt, ihn betrunken gemacht und … den Rest können Sie sich denken.«
»Ist er dafür zur Rechenschaft gezogen worden?«
»Schon, aber nur kirchenintern. Er hat sich einer Therapie unterziehen müssen, dann wurde er wieder in die Seelsorge geschickt.«
»Wer war dafür verantwortlich?«, sagte Schwarz.
»Hinterher ist immer keiner verantwortlich. Aber wenn Sie nach dem obersten Dienstherrn fragen, war das der damalige Erzbischof von München und Freising.«
»Aha«, sagte Schwarz und stutzte im nächsten Moment. »Kennt man den Namen?«
Pfarrer Schickinger schwieg beredt.
Er meint doch nicht den Papst, dachte Schwarz, das kann nicht sein. Aber er insistierte nicht. »Anselm Schneider hat also weiter als Pfarrer gearbeitet?«
»Ja, in einer ganz kleinen Gemeinde ohne Kaplan und Haushälterin. Deshalb hat auch niemand gemerkt, dass er weiter Buben missbraucht und ihnen mit allen Teufeln und der Hölle droht, falls sie ihn verraten. Aber wahrscheinlich hätte den armen Kerlen sowieso niemand geglaubt, nicht mal die eigenen Eltern, bei so einem netten Herrn Pfarrer. Aufgeflogen ist der Anselm erst, als eines seiner Opfer sich das Leben nehmen wollte. Im Abschiedsbrief waren die ganzen Schweinereien beschrieben. Das war Anselms zweite Station.«
»Wie bitte? Das ist noch nicht das Ende?«, sagte Schwarz. Pfarrer Schickinger schüttelte den Kopf. »Beim Thema Sexualität schauen unsere Oberen gern mal weg. Und wenn etwas passiert, geht es ihnen vor allem darum, Schaden von der Kirche abzuwenden – die Seelen der Kinder scheinen da nicht ganz so wichtig zu sein.«
»Übertreiben Sie jetzt nicht ein bisschen?«
Schickinger schnappte nach Luft.
»Übertreiben? Sie können sich nicht vorstellen, wie die Opfer unter Druck gesetzt wurden, damit sie sich auf keinen Fall an die Presse wenden oder einen Anwalt einschalten. ›Damit macht ihr alles nur noch schlimmer‹, hieß es.«
»Anselm Schneider ist nie angezeigt worden?«
»Kein einziges Mal.«
Schwarz schaute ihn ungläubig an. »Weder von einem der Jungen, noch von einem Kollegen wie Ihnen, der Bescheid wusste?«
Schickinger lachte höhnisch. »Als Priester sind wir zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wenn ich wüsste, dass dort drüben im Kloster Buben vergewaltigt werden, dürfte ich damit nur zu meinem Bischof gehen – aber nicht zur Polizei.«
»Das grenzt ja an Strafvereitelung.«
»Sie sagen es. Darum hat der Anselm auch immer weitermachen können.«
»Wäre es für den Ruf der Kirche denn nicht besser, wenn sie sich um Aufklärung bemühen würde?«
»Das erklären sie mal den alten Männern in Rom. Die sehen sich doch von Feinden umzingelt.«
Schwarz’ Telefon klingelte. Er schaute aufs Display. Kolbinger. »Entschuldigung, da muss ich dran.«
»Kein Problem«, sagte Schickinger und zog sich
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