Im Namen des Kreuzes
Schwarz. Denn der Nebel, die Sentimentalität und das Mysterium gehörten zu den größten Feinden des Ermittlers.
Da sah er den Jungen.
Er kniete ganz in seiner Nähe am äußersten Rand einer Bank. Er trug den grauen Pullunder der jüngeren Militia - Zöglinge und war auffallend bleich und dünn. Seine Stirn stützte er auf die gefalteten Hände, damit es aussah, als würde er beten. In Wirklichkeit ging sein Blick ruhelos hin und her. Er befand sich in einem Zustand äußerster Anspannung und wackelte unruhig mit den Beinen. Als die Gemeinde sich zu einem Lied erhob, nutzte er die Gelegenheit, sich schnell nach allen Seiten umzublicken.
Schwarz begriff, dass der Junge abhauen wollte und nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt. Jetzt tat er so, als habe sein Schnürsenkel sich gelöst und bückte sich, um ihn zu binden. Dabei warf er Kontrollblicke Richtung Kirchentor und Seitenausgang. Aber die Portale waren bewacht.
Resigniert richtete der Junge sich wieder auf.
Die Gemeinde setzte sich zur Lesung. Der Junge schaute sehnsüchtig zu einer kleinen Galerie und einer mit Fresken übermalten Tür. Wahrscheinlich träumte er davon, dort hinaufzuklettern.
Als er den Kopf senkte, trafen sich sein und Schwarz’ Blick.
Es war nur ein kurzer Moment, trotzdem versuchte Schwarz, ihm einen Wink zu geben.
Der Junge blickte in sein Gebetbuch.
Mist, dachte Schwarz, er hat mich nicht verstanden.
Aber da sah der Junge ihn fragend an.
Schwarz bewegte den Kopf erneut leicht Richtung Beichtstuhl.
Die Miene des Jungen verriet Verwirrung und Misstrauen.
Du musst keine Angst haben, vielleicht kann ich dir helfen, dachte Schwarz und hatte keine Ahnung, wie er das dem Jungen mitteilen sollte.
Jetzt erhoben die Gläubigen sich, um das Evangelium zu hören.
Der Junge blickte starr in Richtung Altar. Aber dann nickte er plötzlich. Zwei Mal. Es war eindeutig.
Nur, wie sollte er, ohne aufzufallen, in den Beichtstuhl gelangen, wie hinter einem der drei schweren burgunderroten Vorhänge verschwinden?
Schwarz versuchte, die Kirchenbesucher neben und hinter dem Jungen einzuschätzen. Einige waren alt und so ins Gebet vertieft, dass sie nichts mitkriegen würden, andere aber schienen ihre Umgebung sehr genau wahrzunehmen.
Er sah, dass der Junge immer unruhiger wurde. Er bedeutete ihm mit einer verdeckten Geste, dass er Geduld haben müsse.
Einer der Priester hatte sein goldenes Obergewand abgelegt und stieg im weißen Unterkleid zur Predigt auf die Kanzel. Sein Ton war theatralisch, offenbar gefiel er sich in der Rolle des strengen Mahners. Seine Kollegen legten die Köpfe schief oder unterstrichen bestimmte Sätze mit einem würdigen Nicken.
Schwarz trat hinter Evas Rollstuhl und beugte sich zu ihr hinab.
»Keine Fragen«, flüsterte er. »Du fährst jetzt nach vorne in den Quergang. Dir ist schlecht, du willst ins Freie. In der Mitte der Kirche bekommst du einen Schwächeanfall. Ich werde nicht kommen, um dir zu helfen.«
»Geht klar«, sagte Eva. »Wann?«
»Sofort nach der Predigt.«
Schwarz kehrte an seinen Platz zurück, stellte sich aber noch etwas näher an den Beichtstuhl. Wenn er den richtigen Augenblick wählte, dürfte es kein Problem sein, unbemerkt hinter den Vorhang auf der linken Seite zu schlüpfen. Aber würde der Junge es auch schaffen? Würde er überhaupt begreifen, was er zu tun hatte?
Schwarz nahm erneut Blickkontakt mit ihm auf. Er versuchte, ihm zu bedeuten, dass es gleich so weit war. Er schaute zum mittleren Eingang des Beichtstuhls und nickte leicht. Das ist deiner, hast du das verstanden?
In dem Moment setzte Eva sich in Bewegung.
Tatsächlich war der Priester am Ende seiner Bußpredigt angelangt und gerade im Begriff, die Kanzel zu verlassen. Als er den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, stöhnte Eva im Mittelgang laut auf und sank in ihrem Rollstuhl zusammen.
Damit zog sie die Blicke der gesamten Gemeinde auf sich.
Schwarz gab dem Jungen, der atemlos zu ihm schaute, das Zeichen. Dann schob er schnell den Vorhang zur Seite und schlüpfte in den engen Verschlag.
Im nächsten Moment hörte er es nebenan rumpeln.
»Leise!«, zischte er und versuchte eine einigermaßen bequeme Position zu finden. Er wollte nicht knien, aber es half nichts, die Konstruktion des Beichtstuhls ließ ihm keine Wahl. Für den armen Sünder war nur eine schmale Kniebank vorgesehen.
Das Beichtfenster war mit einem Holzgitter blickdicht gemacht, aber er konnte den Jungen atmen hören.
Sie schwiegen und
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