Im Namen Des Schweins
Fifth Avenue mit seinen Farben. Damals standen auch noch zwei besonders hohe Wolkenkratzer im unteren Teil von Manhattan. Die Erinnerung ist auf so süße Weise bitter, dass es ihm fast seine glänzend gute Laune und diesen Augenblick im Café unter den Arkaden verdirbt. Sankt Martin aber ist bester Dinge und kommt auf die Idee, einen Schein für denjenigen auszurufen, der den Inhalt von Beethovens unabdingbarem Herrentäschchen errät. Ein Vorschlag nach dem nächsten wird unter großem Gelächter gemacht: abgelaufene Kondome, eine Packung Viagra … Beethoven hält sein Täschchen entschlossener denn je fest und lehnt es ab, irgendwelche Hinweise zu geben, was die Fantasie aller zu noch mehr Unsinn anheizt: ein halbes Kilo Sprengstoff, falls sie ihm einmal die Rente nicht pünktlich auszahlen, ein Funkgerät, um mit seinem Planeten in Kontakt zu treten …
Mit der heiteren Leichtigkeit ist es vorbei, als Kainsmal plötzlich in die Gaststätte kommt. Am Anfang geht es lediglich so los wie immer: Kriegsgeheul und die entsprechende Antwort von seinen Anhängern mit den gefärbten Haaren. Aber heute ist er ziemlich breit. Als er sich an einen der Tische in die Nähe der Theke setzt, sagt er: »Dieses miese Arschloch ist Schriftsteller: Ein Scheißschriftsteller, der hierhergekommen ist, um über uns zu schreiben.«
P beschließt, so zu tun, als würde er die Anspielung nicht verstehen, obwohl alle Welt weiß, wen er mit diesen Worten meint. Aber Kainsmal lässt nicht locker:
»Fragt doch die Heidi, die hat es in einer Zeitschrift gelesen.«
Die Heidi sitzt hinten im Lokal und ist erst still, dann stimmt sie ihm zu und nicht nur das: Sie zieht ein Exemplar von Qué Leer aus ihrer Anoraktasche, das bereits auf der entsprechenden Seite aufgeschlagen ist.
Genau auf der Seite, die nur genau dieses Exemplar der Zeitschrift enthält.
Sie legt sie auf den Tisch. Zuerst schnappt der Rito sich das Heft und schaut es sich kurz an, dann aber zirkuliert es sofort zwischen den Tischen. Niemand liest den Artikel oder überfliegt ihn zumindest, sondern alle schauen auf das Foto, das ein Viertel der Seite ausmacht. Darauf ist P mit einem kurz geschnittenen Bart zu sehen. Er sitzt auf ein paar Treppenstufen und schaut ins Unendliche: grauer Anzug, ein feines Hugo-Boss-Hemd, Lederkappe … Auf dem Foto ist das Parfüm nicht zu riechen, aber an dem Tag, an dem sie das Foto in einem Park in der Nähe der Zentrale machten, roch der Anzug noch nach Boucheron.
»Das überrascht mich nicht«, sagt Beethoven. »Das habe ich mir schon gedacht.«
Der Franzose sagt gar nichts, womöglich um nicht zu erkennen zu geben, dass er bereits im Bilde war.
Sankt Martin wirkt anfangs enttäuscht: »So, so, Alter, Du bist also Schriftsteller?« Dann aber fasst er sich sogleich ans Gemächt, als solle es ihm nicht herunterfallen und fragt: »Scheiße noch mal, komme ich da drin vor, oder was?«
Die Zeitschrift ist bereits am Tresen angelangt, nachdem sie durch das ganze Lokal gewandert ist. Beethoven schaut sich erst das Foto an und liest dann die Überschrift »Pedro Balmes oder der unsichtbare Romancier«. Dann vertieft er sich in die Lektüre des vollständigen Interviews, des vollständig simulierten Interviews, das Quique Aribau auf Roderos Wunsch hin verfasst hat. In der Zwischenzeit warten die Jugendlichen mit ihren gefärbten Haaren gespannt an ihren Tischen darauf, was Kainsmal nun vorhat. Er scheint in einer Stimmung zu sein, die ein Spektakel verspricht.
»Und: Wie fühlt man sich so als beschissener Schriftsteller?«, sagt er mit lauter und herausfordernder Stimme.
»Ich habe Dir schon einmal gesagt, dass Du mit mir in einem anderen Ton zu reden hast«, antwortet P sehr ruhig.
Und das ist der Moment, in dem Kainsmal, ohne zu wissen, was er in Wirklichkeit tut, ihm das Messer mitten ins Herz bohrt: »Mit Arschlöchern rede ich nicht in einem anderen Ton: Ich könnte schwören, dass Dich nicht einmal Deine Mutter gewollt hat …«
Das ist der Punkt, an dem Kainsmal seinen Fehler begeht. Und es ist auch der, an dem P seinen machen wird. Er ist bereits ein wenig betrunken und fällt völlig aus seiner Rolle: Es ist nicht mehr der verdeckte Ermittler, der sich an der Theke aufrichtet: »Bravo«, sagt er immer noch ganz langsam und deutlich zu Kainsmal: »Du hast mich enttarnt, ich bin Schriftsteller.
Und nachdem Du mein Geheimnis gelüftet hast, werde ich jetzt Deines lüften, darauf scheinst Du es ja seit Monaten mit aller Gewalt
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