Im Namen Des Schweins
ist bald Weihnachten, eine Weihnacht à la Pickwick Club mit Kaminfeuer und Musik aus den Achtzigern im Radio:
Video killed the radio star … In ein paar Tagen kann er vielleicht hinunter in die Stadt fahren, etwas Leckeres mit dem Kommissar und seiner Frau zusammen essen, so vertrauten, lieb gewordenen Gesichtern. Menschen, auf die man sich voll und ganz verlassen kann. Das Heimeligste und Trauteste, was P an Weihnachten bisher kennengelernt hat. Dann könnte er es sich auch mal wieder gestatten, in der Nacht vom 24. auf den 25. richtig auszugehen und etwas Erlesenes in irgendeiner coolen, angesagten Cocktailbar trinken zu gehen. Die dürfte dann ruhig voll sein mit Leuten in den neuesten Klamotten und einen DJ haben, der etwas Prickelndes auflegt, egal was, Hip-hop, Trance, was auch immer.
Hauptsache nichts von Creedence Clearwater Revival oder den Rolling Stones.
Er ist in der Stimmung, seine Weihnachtsferien ein wenig vorzuverlegen und heute Nacht aus purer Lust einmal zu trinken: zu trinken und zu genießen, solange diese übergeschnappte Stimmung in ihrer ganzen Kindlichkeit anhält. Er folgt dem starken Impuls, die vier, fünf, die um ihn herumstehen, zu irgendetwas Hochprozentigem einzuladen und darauf anzustoßen: »Auf die neuen Freunde«, sagt P. Dann schlagen die Gläser aneinander, so schroff, dass die Getränke leicht verschütten und ihnen Wohlsein und Glück vorhergesagt ist. Im Stehen erzählen sie von der letzten Silvesternacht, in der Boings Sektglas bei dem Versuch, mit dem Schöpflöffel des Metzgers anzustoßen, zu Bruch ging. Sankt Martin erläutert, dass sich am Jahresende das ganze Dorf vor der Uhr am Kirchturm versammelt, obwohl man sich natürlich nicht auf sie verlassen könne, und sie eigentlich nie zwölf Mal schlage, wenn sie es tun solle. Deswegen greife man immer auf den Topf des Metzgers zurück, in dem er normalerweise das Blut für die Würstchen aufkoche. Er höchstpersönlich schlage dann zwölf Mal mit einem Schöpflöffel gegen den Topf, wofür er sich auf eine der Bänke stelle, die vor der Kirche stehen. Da könne er überblicken, dass auch keiner fehle, bevor sie zu der feierlichen Zeremonie schreiten. Dieses derart aus der Erinnerung zurückgeholte Bild verdient, laut Beethoven, den Namen »surrealistisch«. Wobei er hinzufügt, dass die Versammlung der Taubstummen in der ersten Reihe nicht weniger surrealistisch sei. Sie stünden immer ganz vorn, um die Topfschläge zu sehen und ihre Trauben nicht zur Unzeit zu essen. Plötzlich stellt Susi die Lautstärke des Radios leise und die des Fernsehers laut. Es kommt die Wettervorhersage: Das ist das Zeichen für alle Welt, für die Bauern, Viehzüchter und die Jugendlichen mit ihren gefärbten Haaren gleichermaßen, ihre lautstark geführten Unterhaltungen zu unterbrechen, und sich dem Bildschirm zuzuwenden, der diesmal sozusagen doppelt verschneit ist: Einmal ist die Wetterkarte übersät mit dem entsprechenden Symbol und dann ist der Empfang besonders schlecht, schlechter noch als gewöhnlich. Sie schauen das Regionalprogramm. Der Maßstab ist schon ziemlich groß, doch aber nicht groß genug, um San Juan de Horlá darauf verzeichnet zu finden. Die Region ist unter einem großen Schneekristall im Norden zu erahnen. Polarkälte kündigt der auffällig dünne Meteorologe an: Luft aus Sibirien ziehe in den nächsten Tagen über ganz Europa hinweg und werde sie früher oder später erreichen. Da spürt man wieder, dass sie sich unausgesprochen demselben Kontinent zugehörig fühlen wie Paris, La rille lumière. Nun kommt die Karte mit den Mindesttemperaturen in den Hauptstädten: Stockholm minus zwölf, Madrid minus drei, Athen ein Grad über Null. Unerklärlicherweise scheint die Aussicht auf klirrend kalte Tage, alle in der Kneipe zu begeistern, als wäre es erstrebenswert, historische Rekorde zu brechen, da man die Kälte sowieso ertragen muss. So hätten sie zumindest etwas, worüber man reden könne, bis der Frühling wiederkommt. Danach schaltet die Susi wieder das Radio an. Man hört ein Solo aus Sultans of swing und alle kehren zu ihrem Bier und ihren Unterhaltungen zurück:
Mark Knopfler spielt, dann reiten wir. P bekommt Lust, auch Witziges zum Besten zu geben und spürt, wie jener Sinn für Humor in ihm wiedererwacht, der ihm so eigen ist. Es ist schon wieder ein paar Monate her, dass er ihn wiederentdeckt und dann gleich auch wieder verloren hat. Sieben? Neun …? Es war Frühling:
Ein Rotkehlchen prahlte in der
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