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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pablo Tusset
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anzulegen.«
    Und was daraufhin passiert, macht alle sprachlos. Er geht auf den sitzenden Kainsmal zu, packt mit einer plötzlichen Bewegung dessen linkes Handgelenk und dreht es ihm über den anderen Arm, in dem er die Bierflasche hält. Jetzt drückt er ihn mit einem Großteil seiner dreiundachtzig Kilogramm auf den Tisch, so dass Kainsmal sich nicht mehr rühren kann. Das Opfer wäre damit auf den Sitz genagelt, seine Arme sind verdreht, während P die rechte Hand noch frei hat, mit der er ihm so oft ins Gesicht schlagen könnte, wie er Lust hat. Bis er ihm alles blutig geschlagen oder alle Knochen gebrochen hat. Genauso gut könnte er ihm die Bierflasche abnehmen und sie ihm wie eine Keule gegen den Schädel hämmern. Oder ihm den Daumen ins Auge quetschen, bis es platzt und glibberig wird. Aber P ist entschlossen, wirklich grausam zu sein. Er nutzt seine überlegene freie Hand stattdessen dazu, Kainsmal an den Haaren seines Kamms zu packen und so an ihnen zu ziehen, bis er das Gesicht im richtigen Winkel vor sich hat, um ihm dann in aller Ruhe einen spektakulären Kuss auf die Lippen zu geben. Einen Kuss, der Kainsmal vor den Augen von gut der Hälfte aller Männer aus dem Dorf in seiner ganzen Wehrlosigkeit, Unterwürfigkeit und völligen Ausgeliefertheit präsentiert.
    Die Reaktion auf die Demütigung hilft Kainsmal auch nicht wirklich weiter, um sich zu rehabilitieren: Sobald P ihn frei lässt und zwei Schritte zurückgeht, steht er unter großem Getöse auf, wischt sich den Mund ab, aber schluchzt dabei fast und scheint überhaupt nicht zu wissen, was er nun machen soll. P versetzt ihm nun den Gnadenstoß, indem er ihn mit beiden Händen zu sich heranwinkt: »Warum heulst Du denn, Du Schwuchtel? Komm her und schlag mir die Fresse ein, wenn Du ein Mann bist!« Aber Kainsmal kommt nicht wieder zu sich. »Na los, Du Held: Alle hier warten darauf!« Nichts. P ahmt sogar Kainsmals Atmung in einer Art femininer Parodie nach: »Uf, uf, uf!« Kainsmal fährt sich mit der Hand über die Stirn. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er sich doch noch auf ihn stürzen, aber da gefrieren Ps Augen und alles, was der Junge vor diesem »Null Empathie«-Blick tun kann, ist den Stuhl umzuschmeißen, sich umzudrehen und aus der Kneipe zu rennen, wobei er nach Luft schnappt, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen.
    Erst als einer von den Jungs mit den gefärbten Haaren hinter ihm hergeht, um ihm die Jacke zu bringen, die noch an einer Stuhllehne hängt, beginnt P zu bereuen, was er gerade getan hat.
    ***
    Der Montag direkt nach dem Vorfall im Café unter den Arkaden ist Ps erster Arbeitstag in der Genossenschaft. Als der Wecker seiner Armbanduhr morgens um halb sieben Uhr klingelt, springt er auf, zieht sich das Kapuzensweatshirt über, den Anorak und die gefütterte Hose, die er jeden Abend über das Fußende seines Betts legt. Unmöglich, den Ofen anzuheizen, dafür bleibt keine Zeit, aber zumindest sich ein bisschen waschen, um die Kälte zu besiegen.
    Aus dem Hahn am Waschbecken kommt kein Wasser.
    Er erinnert sich nicht, dass er ihn tags zuvor ganz abgedreht hat. Man muss immer einen dünnen Strahl laufen lassen, damit die Rohre nicht einfrieren. Er prüft die Leitungen bis hin zur Waschmaschine. Das Hauptrohr ist geplatzt: Das Eis hat das Blei aufgerissen wie einen alten Stoff.
    In der Küche stehen zwei Karaffen mit Mineralwasser. Er trinkt es lieber, als das trübe Leitungswasser, das aus dem Wasserhahn kommt. Das restliche Wasser aus einer der beiden Karaffen reicht, um davon zu trinken, sich die Zähne zu putzen, für eine Katzenwäsche und um Kaffee zu kochen. Danach hüpft er für dreißig Sekunden wie ein Boxer auf und ab, um warm zu werden, bevor er es wagt, den Anorak und die Schlafsachen auszuziehen.
    Draußen ist es dunkel, der tief hängende und dichte Nebel verhüllt die Straßenlaternen. P läuft über das Eis und hält sich an allem fest, was ihm Halt gibt. Als er am Tor der Genossenschaft ankommt, zieht er die Handschuhe aus, um am Schloss herumzuhantieren. Die Haut klebt am Eisen, als wäre es mit Honig eingeschmiert. Die Finger haben sich in gefühllose Anhängsel verwandelt, die gleichwohl empfindlich weh tun können.
    Oben angekommen schmeißt er die Kaffeemaschine an und bemüht sich, den Holzofen anzuheizen, indem er zuerst das Holz klein macht. Als der Metallwanst anfängt, warm zu werden, öffnet er ein paar Fensterläden, um sich die Dämmerung anzusehen. Dann schaltet er das

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